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Kultur: Im Netz

Natascha Wodin las im Frauenkulturzentrum

Stand:

„Ab vierzig falle man als Frau in die Kategorie jenseits von Gut und Böse“. So sei sie selbst programmiert gewesen, offenbarte Natascha Wodin. Das Publikum bei der Lesung im Literatursalon des „Prima Donna“ besteht an diesem Mittwochabend aus einem Dutzend Zuhörerinnen vierzig plus und – Überraschung – drei Männern. Um es vorwegzunehmen: die Frauen stellen in der anschließenden Diskussion fest, dass es höchste Zeit für eine Umprogrammierung sei. Das überrascht natürlich niemanden. Schon gar nicht, wenn die Lesung im kleinen Kreis selbstbewusster Frauen an einem so intimen Ort stattfindet und die Autorin selbst eine klare Ansage macht: „Schauen Sie mal im Internet nach unter dem Stichwort „Geronto-Sex, was da alles los ist!“

Was da und an noch ganz anderen Orten im www los ist, hat Natascha Wodin während eines Jahres gründlich recherchiert, mit Sexualtherapeuten und Betroffenen gesprochen und schreibt gegenwärtig an einem Buch zum Thema Liebe und Sexualität im Alter. Einen Titel hat das Fragment noch nicht, aber die Geschichte ist schon weit gediehen und macht gespannt. Eine Frau, offensichtlich nicht mehr die jüngste, beginnt im Internet nach der „zweiten Hälfte ihres Herzens zu suchen“ und entdeckt dabei die virtuelle Welt der Chatrooms, in denen es um Sex geht. Wodins Sprache gleicht den Selbstgesprächen der Protagonistin in Echtzeit, Schritt für Schritt Annäherung an dieses seltsame Medium, ein Lernprozess in Sachen moderner Technik sowie im Erkennen beziehungsweise Anerkennen der eigenen Bedürfnisse. Das Thema hat sich hier allerdings nicht erschöpft, Wodin provoziert mit der Konstellation alte Frau und junger Mann, sie lässt ehebrechen und lügen, stellt Monogamie und Zölibat zur Diskussion, wenn ihre Hauptfigur via Internet mit Geschäftsreisenden virtuell anbandelt und schließlich reale Treffen vereinbart, am Flughafen-Terminal einen katholischen Pfarrer erwartet, der vom Alter her ihr Sohn sein könnte. Hier endet der Auszug aus dem halbfertigen Buch, bedauerlicherweise, denn Natascha Wodin gibt sich geheimnisvoll. „Der Pfarrer ist erst der Anfang“, sagt sie leise lächelnd.

Literaturfachfrau Elke Liebs, Initiatorin der neuen Lesereihe „Auf den Spuren von Lust und Erotik in der Literatur“ moderiert die anschießende Diskussion und wagt die These, dass die Gesellschaft früher schon mal weiter war: Im 18. Jahrhundert habe sich so manche adlige Frau einen jüngeren Liebhaber leisten können. Als sie in die Runde fragt, ob jemand ein solches Paar heute kennt, bleibt es still. Nicht jede Anwesende mag sich so eine Beziehung vorstellen. „Wir sind doch alle so gepolt, dass ein alter Körper abstoßend wirkt“, gibt jemand zu. Opfer von Werbung, Medien, dem gesellschaftlichen Konsens, der stillschweigend hingenommen werde. Neu ist dieser Diskurs nicht, neu ist vielleicht, dass manche Frau sich traut, darüber zu reden. Sie empören sich über die Erwartungshaltung der Männerwelt, stets schön und frisch aussehen zu müssen, während die Männer alt werden dürfen. Andererseits hat sich doch der Schröder garantiert die Haare gefärbt, meint man, und eine Dame gibt zu, gegen Schönheits-OPs hätte sie so grundsätzlich nichts einzuwenden. „Das Buch muss ganz schnell veröffentlicht werden“, sind sich die Zuhörerinnen einig. Schon weil es spannend ist. Das ist vielleicht das Schönste an dem Abend: Natascha Wodin entlässt ihre Gäste mit viel Phantasie im Kopf, neuen Anregungen und der Lust, einmal hinter die Fassade zu schauen. Steffi Pyanoe

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