Helen Braasch, Potsdamer Autorin, über die DDR: Im Osten geht die Sonne unter
Von hinten nach vorn. Manchmal liest man nicht nur eine Zeitung in dieser Reihenfolge, sondern auch ein Buch: Bei der Lektüre von Helen Braaschs Erzählungsband „Im Osten geht die Sonne unter“ hat man zunächst die letzten Seiten im Blick, vielleicht auch wegen zu wenig Erwartung in Sachen künstlerischer Bewältigung.
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Von hinten nach vorn. Manchmal liest man nicht nur eine Zeitung in dieser Reihenfolge, sondern auch ein Buch: Bei der Lektüre von Helen Braaschs Erzählungsband „Im Osten geht die Sonne unter“ hat man zunächst die letzten Seiten im Blick, vielleicht auch wegen zu wenig Erwartung in Sachen künstlerischer Bewältigung. Die Erzählung Nummer zehn handelt von einer mehrtägigen Radtour durch die Prignitz an die Ostsee, von überwältigenden Naturerlebnissen am Wegesrand und von Unwägbarkeiten bei der Suche nach einer Herberge. Ja, man ist hier in der DDR. Das Erlebnis ist nicht unbekannt. Das Suchen nach einem Hotel wird die heutige Generation, die realsozialistische Zeiten nicht erlebt hat, verwundert zur Kenntnis nehmen. Damals konnten solche Vorhaben zum großen Problem ausarten. Auf alle Fälle in Gegenden, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Helen Braasch weiß eindrucksvoll Landschaften zu beschreiben, Pflanzen, die sie entdeckt. Da ist die Biologin, die in Leipzig studiert hat, aber seit Jahrzehnten in Potsdam lebt, in ihrem Element. Bei Erzählungen aus der DDR erwarten die Leser Einblicke in das damalige alltägliche Leben – sowie vielleicht eine Abrechnung mit einem Staat, der eine Mauer, Reisebeschränkung, Bevormundung oder Bespitzelung durch die Staatssicherheit für seine Bürger bereithielt. Und ja: Die Autorin will an die Zeit dieser Diktatur erinnern, sie den Nachkommen erzählen, damit sie nicht vergessen. Aber eben auch von persönlichen Glücksmomenten erzählen, die man in 40 Jahren DDR erlebte.
Und wie zu allen Zeiten gab es Enttäuschungen in Ehe und Beruf. So schreibt die Autorin über eine gescheiterte Liebesbeziehung, über eine unreife Ehe. Die Stasi-Verwicklung des Protagonisten fügt sie erst am Ende der Erzählung an. Diese Extra-Erklärung wirkt leider belehrend. Da fehlt Braasch das schriftstellerische Handwerk, um das Geschehen und die handelnden Personen in eine dramaturgische Verflechtung einzubeziehen. Der erzählerische Fluss ergibt sich dabei nicht.
Braasch kann aber durchaus spannend erzählen. Das zeigt sie in „Im Angesicht der Grenze“. Darin versuchen zwei Freunde, über die ungarisch-jugoslawische Grenze zu fliehen. Von ungarischen Grenzsoldaten entdeckt, werden sie eingesperrt und nach einigen Tagen wieder entlassen. Die politische Öffnung Ungarns Richtung Westen war da im vollen Gange. Auch der Geschichte „Zum Wachregiment“, ist eine gewisse Spannung nicht abzusprechen. Der Protagonist verpflichtete sich darin zum Wehrdienst für drei Jahre – um anschließend auf See fahren zu können. Doch für die Wehrpflichtigen, die beim berüchtigten Stasi-Wachregiment Feliks Dzerzyinski dienten, galt eine mehrjährige Sperrfrist für gewisse Berufe. Der junge Mann aber lässt sich nicht einschüchtern.
Dann kann man eine fast skurrile Mäuse-Erzählung über den Start des Vogelwarten-Aufenthalts auf Hiddensee lesen, auch der Bericht über eine Parteiversammlung in einem Betrieb löst heute Heiterkeit aus. Ja, man könnte den Eindruck haben, die Sonne gehe im Osten unter. Doch Halt: Helen Braasch berichtet auch über unglaubliche Vorgänge in einer DDR-Geburtsklinik, von der Geheimnistuerei der Ärzte, vor allem vom neuen Leben eines Kindes. Der Leser stellt fest, dass Helen Braasch ein Buch mit persönlichen Erlebnissen geschrieben hat, ein Buch zur Zeitgeschichte, bei dessen Lektüre man heute lacht und zugleich den Kopf schüttelt. Klaus Büstrin
Helen Braasch,
„Im Osten geht die Sonne unter: 10 Erzählungen aus der DDR-Zeit“,
Engelsdorfer Verlag Leipzig,
Februar 2016, ISBN-10: 3960080816,
Preis: 10 Euro
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