
© Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: Im Rausch der Macht
Niklas Ritter führt am HOT Regie zur deutschen Erstaufführung von „Enron“, einem US-Finanzskandal
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Wer möchte eigentlich das leidige Thema Finanzkrise auch noch auf der Bühne sehen? Eine Frage, die sich Niklas Ritter durchaus stellte, als er sich ans Inszenieren von „Enron“ fürs Potsdamer Hans Otto Theater machte. Doch nachdem er das Stück der jungen britischen Autorin Lucy Prebble gelesen hatte, war er der Faszination der real existierenden Figuren erlegen. Denn es geht in dieser „skurril bitteren Komödie mit tragischen Ausmaßen“, wie Ritter sie bezeichnet, um einen handfesten Skandal in den USA, um die schillernde Person des Jeff Skilling. Ein Mann, über den das größte Strafmaß für Wirtschaftsvergehen verhängt wurde: 27 Jahre Gefängnis.
„Zu Probenbeginn las ich im Internet eine Randnotiz, dass der Urteilsspruch wegen eines Verfahrensfehlers eingestellt wurde. Skilling ein Sündenbock, der vielleicht auch von anderen in die Pfanne gehauen wurde, ein ,Königsopfer’?“ Für den Regisseur liegt dieser ehemalige Manager des texanischen Energiekonzerns Enron, der 2001 die USA erschütterte, nicht weit entfernt von klassischen Theaterfiguren wie „Macbeth“, die sich von ihrer Macht berauschen lassen und in einer Paranoia enden. „Skilling hatte unglaubliches Charisma und über seinen Charme und klugen Kopf arbeitete er sich schnell an die Spitze des Unternehmens, bis er größenwahnsinnig und gierig wurde. Die Kollegen vergötterten ihn geradezu. Sie fuhren sogar zusammen in den Urlaub.“ Und dieser Skilling sagte mit felsenfester Überzeugung: „Wenn es mir gut geht, steigt der Aktienkurs. Wenn ich ein wenig traurig bin, fällt er. ,Ich bin Enron’.“ „Das ist schon fast kafkaesk.“
Der 38-jährige Gastregisseur, der erstmals am Hans Otto Theater arbeitet und das Stück dort am kommenden Sonntag zur deutschen Erstaufführung bringt, war durchaus interessiert, auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu durchdringen, die zu dem Skandal führten. „Wer weiß schon, warum ein hoher Aktienkurs und Quartalsbilanzen wichtig sind?“ Niklas Ritter ist inzwischen eingeweiht, hat sich belesen, eine Vorlesung an der Potsdamer Universität besucht und kennt die Umstände vor dem tiefen Fall. „Bei Enron brachte eine Reporterin mit einem einzigen Artikel unter der Überschrift ,Is Enron overpriced?’ alles ins Rollen. Plötzlich fiel der Aktienkurs, die Banker wollten ihr Geld, Enron war in Null-Komma-Nichts pleite.“
Niklas Ritter will aber kein Dokumentartheater machen, sondern mit theatralen Bildern in diese Finanz- und Scheinwelt eindringen und das ganz Subjektive der Menschen zur Schau stellen. „Bei der ersten Probe machte ich die Ansage, dass wir versuchen müssten, mit einem Abend zu überzeugen, als würde Lars von Trier ,Dallas’ inszenieren. Wir können nicht Macbeth machen, das gibt der Text nicht her, aber wir können das Phänomen erzählen.“ Das Stück sei ziemlich einfach und realistisch geschrieben im Duktus einer amerikanischen 80er Jahre-Serie. Ihn interessiere aber nicht, ob der Chef mit der Sekretärin eine Affäre anfängt. „Es ist zwar Teil vom Stück und man muss es bedienen, aber ich kann auch sagen: Das ist die Oberfläche und ich schaue in die Abgründe dahinter. Das lässt der Text durchaus zu. Für mich ist es immer wichtig, genau zu schauen, was ein Stück mit meiner eigenen konkreten Welt zu tun hat, nur so kann ich der Wahrheit näherkommen.“ Und diese Unberechenbarkeit der Figuren, die sich verwandeln, je nach dem, was sie erreichen wollen, die sei im Theaterbetrieb auch anzutreffen. „Da ist der Regisseur mit seiner Autorität, doch wenn er seine Ansagen nicht ausdrücklich genug klar macht, steht er auf der Premierenfeier allein da.“
Der nachdenkliche Theatermann will seine Helden auf der Bühne nicht vorführen, sondern sie verstehen, auch in ihren negativen Auswüchsen. „Ich finde nichts unerträglicher, als wenn ein Schauspieler zeigt, dass er seine Figur hasst. Er muss vielmehr in ihren Wänden denken.“ Und im Fall von „Enron“ erzählen, wie es passiert, dass ein so kluger Kopf wie Skilling entarten und zum Verbrecher werden kann.
Die Neugierde auf Verhaltensweisen anderer Menschen hat der Berliner schon nach dem Abitur auf seiner Weltreise mit auf den Weg bekommen, die ihn viel aufmerksamer werden ließ. Vielleicht um so mehr, da er sie mit einem blinden Freund bestritt. Sie waren in Indien, Nepal, dem Iran, in Südamerika unterwegs. Dann lebte Niklas Ritter ein Jahr in New York allein, schrieb Geschichten und Gedichte. Bis ihm klar wurde, dass er Drehbuchautor werden möchte. Dabei war er durch die Familie theatermäßig vorbelastet: sein Vater ist Schauspielprofessor, seine Tante, Ilse Ritter, Schauspielerin an der Schaubühne Berlin, wo er als kleiner Junge mitten unterm Schauspielernachwuchs den Kinderladen besuchte. „In der Pubertät hatte ich mit Theater nichts mehr am Hut und ging lieber ins Kino.“ Doch sein Studium am Literaturinstitut in Leipzig stellte die Weichen zurück. Dort ging es vor allem um Dramatik und so hospitierte Niklas Ritter 2001 am Meininger Theater. „Im Nu war es um mich geschehen.“ Er erhielt eine Regieverpflichtung und auf sein Weihnachtsmärchen „Lilli auf der Erbse“ fuhren die Kinder total ab. „Ich habe ganz viele Briefe und Bilder bekommen.“
Inzwischen fährt er zweigleisig. Seine Sehnsucht nach dem Film lebt er als Videokünstler aus, immer wieder in Zusammenarbeit mit dem Regisseur und Intendanten des Berliner Maxim Gorki Theaters, Armin Petras. Das Inszenieren hält ihn auch selbst weiter gefangen. Er hat am Schauspiel Leipzig, Hannover und Köln gearbeitet und mehrfach am Maxim-Gorki Theater. „Ein Riesenerfolg sieht vielleicht anders aus, aber bislang war der Zuspruch durchaus wohlwollend“, sagte er bescheiden. Nach der Premiere von „Die Reise“ kam der Potsdamer Intendant Tobias Wellemeyer spontan auf ihn zu und sagte: „Du kannst bei mir arbeiten.“
Niklas Ritter schwärmt von den Proben in Potsdam und dass sich die Schauspieler so gut auf seine Spielwiese eingelassen hätten. Vielleicht lesen auch sie inzwischen den Wirtschaftsteil der Zeitungen mit anderen Augen. „Ich finde jedenfalls mit dem Wissen von heute, dass da richtige Krimis abgehen.“ Erstaunt war er, als er im Uni-Referat erfuhr, dass die meistgedruckten Geldscheine 500-Euro-Noten sind. „Die legen sich die Leute unters Kopfkissen, weil sie kein Vertrauen mehr in die Banken haben. Milliarden stehen damit der Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung.“ Er selbst müsse sich indes ums An- oder Weglegen seines Geldes keine Gedanken machen, sagt Niklas Ritter, Vater eines 9-jährigen Sohnes. „So viel ist es nicht“, meint er lächelnd und genießt seinen Cappuccino in der letzten Herbstsonne, bis sich das Roulette auf der Bühne weiter dreht.
Premiere, Sonntag, 24. Oktober 19.30 Uhr, Neues Theater
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