Von Heidi Jäger: Im Zauber der Dämmerung
Michael Lüder lässt Orte erzählen, wo einst die Mauer stand: Im Herbst werden die Fotos ausgestellt
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Es wirkt gespenstisch und poetisch zugleich. Ein diffuses Spiel aus Licht und Schatten, Magie und Abgrund. Michael Lüders Fotografien erschließen sich erst auf dem zweiten Blick als „Mauerbilder“. Er fing an, die Grenze abzulichten, als sie längst gefallen war. Und doch ist sie noch gegenwärtig: in Erinnerung, in kleinen Zeichen, die man zu lesen bereit sein muss. Michael Lüder sucht die langsam verschwindenden Spuren, lauscht den Geschichten, den die Plätze der Trennung noch heute zu erzählen haben.
Seit 2004 ist der Potsdamer Fotograf auf dem Weg zwischen Gestern und Heute: fuhr den Mauer-Radweg in Berlin ab, lauschte den Geheimnissen der Glienicker Brücke. „Am Tag sind die Stimmen von außen zu laut, schluckt der Alltag alle Reize. Doch abends im Laternenlicht verändert sich vieles. Die Dämmerung entfernt das Umfeld, zaubert eine andere Farbigkeit herbei.“
Mit langen Belichtungszeiten bannt Michael Lüder die nächtlichen Impressionen aufs Bild. Narben, die noch zu erkennen sind, Freiflächen, die unnatürlich wirken und die fragen lassen, warum sie noch nicht bebaut oder aber total zugebaut sind. „Wo leben wir, was steht dahinter?“ Michael Lüder bleibt an dieser Frage dran. Das Ergebnis will er im November bei einer Personalausstellung in der Landeszentrale für politische Bildung zeigen.
Allerdings sind Überbleibsel des einstigen Todesstreifens kaum noch vorhanden. „Dabei interessieren sich die Touristen gerade für diese Relikte, mehr als für das Brandenburger Tor oder den Reichstag. Doch die Einsicht, mehr zu erhalten, kam zu spät.“
Als im November 1989 alle wie wild ihre Fotoapparate zückten und die unwiederbringlichen Momente des Durchbruchs, Mauerpickens, Sprayens oder Bemalens festhielten, verspürte Michael Lüder noch kein Verlangen, es für sich zu thematisieren. „Es hat eine Weile gebraucht, bis die Zündung kam.“
Natürlich war auch er vom Taumel der Begeisterung erfasst, als die Grenze fiel. „Ich bin in Potsdam geboren und mit der Mauer groß geworden. Mitte der 80er Jahre packte mich immer stärker die Sehnsucht, nach Westberlin zu gehen, die Musik, die Lebendigkeit zu erfahren. Und Ende der 80er hatte ich wie viele andere auch, die Idee, zu flüchten.“ Doch dann starb seine Mutter, dem Vater ging es schlecht. Und Michael Lüder blieb. „Das war wohl auch gut so. Hier sind meine Wurzeln.“
Als Günter Schabowski im Fernsehen die Reisefreiheit stotternd verkündete, hatte der heute 48-Jährige gerade Nachtschicht im Potsdamer Emmaushaus. Dort arbeitete er als Pfleger, nachdem die DEFA ihn aufs tote Gleis gestellt hatte. „Ich war Aufnahmeleiter und Kameraassistent, bekam dann aber politisch Stress. Also sagte ich mir, dann mache ich lieber etwas Soziales.“ Und so stieß er am 9. November mit ein paar älteren Leuten auf die Maueröffnung an. „Sofort nach Schichtschluss fuhr ich morgens um 5 Uhr allein mit dem Trabi nach Dreilinden, immer noch unsicher: ,Ist das ein Witz oder Realität?’ Die Grenzer fragten ihn: „Wollen sie bleiben oder kommen sie wieder?“ Michael Lüder wollte zurück. Doch erst einmal machte er sich auf in das unbekannte Gebiet, empfand alles wie ein großes Abenteuer: „Es war toll, so befeiert zu werden oder Silvester David Hasselhoff auf einem Hebekran ,Looking for Freedom’ singen zu hören. Alles war verrückt und hat sich doch so schnell wieder normalisiert.“
Für ihn kam bald die erhoffte Zusage aus Leipzig, endlich Fotografie studieren zu dürfen, was zu DDR-Zeiten abgelehnt worden war. Michael Lüder hat es geschafft, sich als freier Fotograf über Wasser zu halten. „Dazu muss man sich allerdings ständig bewegen und die Fantasie anregen.“ Inspiration beziehe er vor allem aus seinem großen Freundeskreis. Derzeit arbeitet er nicht nur an dem „Mauer“-Thema, sondern auch an der Schwarz-Weiß-Kleinbild-Serie „Und fließt ein Glück am Munde dir vorbei“: über „Glaube, Liebe, Hoffung“. Der Potsdamer – selbst gläubig – geht dabei auf Tuchfühlung mit dem großen Bach, der in seinen Kompositionen Bibeltexte vertonte. Zu diesen freien Arbeiten kommen mitunter lukrative Aufträge, wie derzeit für Polanskis neuen Film „The Ghost“, für den er Motive für mögliche Drehorte aufnimmt. Auch für Verhoeven und Ruzowitzky arbeitete er bereits. Doch von diesen Aufträgen berichtet Michael Lüder eher in bescheidener Zurückhaltung. Gern erzählt er indes, dass er zunehmend Freude am Schreiben verspürt und jetzt gemeinsam mit einer Freundin an einem Buch über Beziehungen arbeitet.
„Vielleicht mache ich auch kurze Texte zu meinen ,Mauerfotos’.“ Es gebe noch genügend Material zum Fotografieren, auch wenn es vielleicht unspektakulär, nur ein Stück Wald sei. Lüder interessiert die Poesie und Vergangenes, das auch vom Jetzt erzählt. Gerade um die deutsche Einheit voranzubringen, seien für ihn die aktuellen Themen wichtig: Arbeitslosigkeit, Gewalt unter Jugendlichen ... „Sicher wird in diesem Jahr noch einmal die ganze Vergangenheit vorgekramt, aber wir müssen nach vorne gucken, schauen, wie wir Dinge besser machen.“ An Orten einschneidender Geschichte lässt sich wohl auch gut über Künftiges nachdenken: über Licht und vielleicht weniger Schatten.
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