
© Andreas Klaer
Kultur: Im Zwiegepräch mit den großen Schweigern
Ein Sommerspaziergang durch die Schiffbauergasse
Stand:
Der Sandkasten ist verwaist. Kein „Buddelflink“ backt Kuchen. Auch die beiden roten Strandstühle bleiben leer. Die Aufschrift „Kopf Urlaub“ neben der bunten Markise findet wenig Widerhall. Man fühlt sich eher wie in einem Gemälde von Edward Hopper. Verloren. Auf dem zugepflasterten Schirrhof am Kulturstandort Schiffbauergasse ist an diesem Sommersonnennachmittag Totentanz. Das Flattern der schwarz-gelben Fahne ist die einzige Bewegung. Auch die beiden großen Ausstellungs-Container, die den einstigen Militärplatz teilen, bleiben verschlossen. Kunstpause vor der Eröffnung der zweiten Temporary-Art-Zone am kommenden Donnerstag. Ohnehin hätte man an diesem lichten Tag wenig Lust, ins Dunkel eines Containers einzutauchen. Da hält man es eher mit dem stilisierten silbernen Mann an der Fassade des Fluxus-Museums, der im Laufschritt das Weite sucht. Das „Willkommen“-Schild am Kulturkarree klingt mit dem Nachsatz „Parken nur mit Parkschein“ ohnehin wie Hohn. Und dass am unteren Ende dieses Parkgeld-Mahners der Aufsteller zum Fluxus-Museum angekettet ist, lässt sich vielfach deuten.
Von der Wasserseite des Kulturstandorts weht indes eine frischere Brise. Und die kommt nicht nur von der Seeluft. Die zehn wuchtigen Gesellen am Kai wecken schon von Weitem Neugier, auch wenn sie den Besuchern beim Nähertreten fast beängstigend in ihrer Größe auf die Pelle rücken. Gerade in ihrer auferlegten Schweigepflicht ermuntern sie zum Zwiegespräch. Mit Brettern vor den Lippen mundtot gemacht, sollen sie sich lautlos gegen zu viele Sprachverbote auflehnen. Diese Botschaft wird nicht jeder erhören. Neugierig bemustern Gäste die wuchtige männliche Front, die zum Teil den Blick auf den Babelsberger Park versperrt. „Ich finde diese Figuren nicht besonders originell. Ich weiß auch nicht, was der Anlass ist, sie hier aufzustellen. Ausgerechnet am Theater Sprechverbot?“, fragt sich ein älterer gebeugter Herr am Krückstock. Er habe keine große Lust, hinter das Geheimnis zu kommen, erklärt er. Allerdings hätte der Berliner doch gern ein Hinweisschild, um wenigstens etwas über den Künstler zu erfahren. „Kunst kann man ohnehin nicht erklären. Jeder legt sie anders aus“, so seine Erfahrung. Mit dem Wunsch nach mehr Information steht er indes nicht allein.
„Die haben ja ein Brett vor dem Kopf“, bemerkt eine Dame mittleren Alters, die sich ebenfalls den Weg um die überlebensgroßen Monumente bahnt. Sie kommt aus Hannover und findet nicht nur die Lage der Schiffbauergasse reizvoll. „Ganz Potsdam ist spannend“, sagt sie und gleitet mit den Händen behutsam über die aschfahle Metallhaut der Skulpturen. Den Namen ihres Schöpfers hätte auch sie gern gewusst. Doch der ist nur schwer auszumachen. Ebenso wenig wie das magische Innenleben des rostbesetzten Würfels, der am Ende des Figuren-Spaliers steht. Dass man durch Ketten in kleine Luken hineingreifen und dort die großen Schweiger in Miniaturgröße ertasten kann, bleibt den meisten mangels Hinweis verborgen.
Das unscheinbare Schild am Aufgang zum Restaurantschiff „John Barnett“, das einlädt, sich einen Katalog zur Parade der verbotenen Worte mitzunehmen, bringt die Erhellung. Doch wer das Schiff nicht besteigt und das Kleingedruckte nicht erspäht, wird um wichtige Informationen betrogen. Nicht immer ist Schweigen Gold. Manchmal braucht es nur wenige Worte, um neue Horizonte zu öffnen.
Doch auch ohne Begleittext zu den Arbeiten des mexikanischen Künstlers Rivelino sind die Männer mit den geschlossenen Augen und Münder attraktiv. Und sei es für ein Urlaubsfoto. „Ich weiß zwar nicht, was das bedeuten soll“, sagt eine Frau aus Köln zu ihrer in Potsdam wohnenden Schwester, drückt aber doch entschlossen auf den Auslöser. Vielleicht teilen sich die schweigenen Gesellen ja mit, wenn sie erst einmal ins Fotoalbum geklebt werden.
Für den weitgehend ins Sommerloch abgetauchten Kulturstandort sind diese „Botschafter des Schweigens“ allemal ein belebender, streitbarer Quell.Heidi Jäger
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: