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Kultur: In Berlin oder anderswo

Foto-Ausstellung auf der Freundschaftsinsel zeigt spannende Schattenbilder von Georg Anderhub

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Foto-Ausstellung auf der Freundschaftsinsel zeigt spannende Schattenbilder von Georg Anderhub Er ist ein Mann der kleinen Dinge, sagt Georg Anderhub. Deshalb hat der Luzerner Fotograf die Stadt Berlin aus einer anderen Perspektive betrachtet, als seine Kollegen das gewöhnlich tun. Kein Potsdamer Platz, keine maroden Hinterhöfe, keine schrillen Leute. Auf seinen Bildern sieht man Straßen, Treppen, Häuser, Baustellen – und oft nicht mehr als abstrakte Striche und Formen. Denn Anderhub hat seine Kamera nicht direkt auf die Alltäglichkeiten Berlins gerichtet. Er fotografierte stattdessen ihre Schatten. Das Ergebnis seiner dreimonatigen Lichtspiel-Studien ist unter dem Titel „Schattenprotokolle“ bis zum 14. Juni im Pavillon auf der Freundschaftsinsel zu sehen. In dem umgrünten Glasbau herrscht Schattenstimmung. Großformatige Fotografien hängen vor den Fenstern, Buch große Bilder in einem Rondell von der Decke in den Raum. Schummriges Licht, dunkle Fotos, wenig Farbe, abstrakte Formen auf gemustertem Untergrund. Und doch haben die Fotografien ihren Reiz – man muss nur lange genug davor stehen bleiben. Dann erkennt man, was sich auf den ersten Blick nicht gleich erschließt: Die Häuserfassade, die sich vor strahlend blauem Himmel abhebt, die Büste von Nofretete, die Stehleiter unter einer Plastik-Abdeckung, den Blick in das geschlossene Fenster, die aufeinander zulaufenden Garderobenreihen, die im Baum hängende weiße Plastiktüte, das Notausgangsschild, den schönen Mann auf dem Plakat. Gewöhnliche Motive, die aber erst durch Anderhubs Art, sie aufzunehmen, außergewöhnlich werden. Erst der Schatten und die spezielle, oft verdrehte Perspektive macht die Motive zu etwas Besonderem. Der Fotograf inszeniert nicht den Gegenstand, er setzt stattdessen den Schatten in Szene, quasi ins Licht. In dem er den Blick vom Großen, Eigentlichen auf das Kleine, Unbedeutende lenkt, schafft er ein neues Sehen auf die Dinge. Mit einem Stipendium der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr in der Tasche kam der Fotograf aus Luzern nach Berlin. Dreieinhalb Monate hatte Anderhub für seine Schattenexperimente Zeit. Die Idee mit den Schatten war nicht mehr und nicht weniger als die Umsetzung einiger Bücher, die ihn in dieser Zeit fesselten: „Die Entdeckung des Schattens“ von Robert Casati oder „Lob des Schattens“ von Tanizaki Jun''ichirô. Gemeinsam mit den Autoren erhob der Fotograf mit der Lust am Kleinen das oft verkannte Dunkel zum Gegenstand künstlerischer Ästhetik. Anderhub spazierte durch Berlin, die Straßen, die Museen und experimentierte. Genau das spiegelt sich in seinen locker, leichten wie stillen Aufnahmen wider. Dabei sind seine Bilder keine wirklichen Berlin-Bilder. Zwar hat ihn die Stadt inspiriert, aber ähnliche Fotos hätte er in jeder anderen Großstadt machen können, findet der Fotograf. Und tatsächlich, Berliner Eigenheiten lassen sich nur auf wenigen Abdrucken finden. So neu das Thema Schatten für den Fotografen sein mag, so typisch sind die Arbeiten, die er in Potsdam zeigt, für sein künstlerisches Gesamtwerk. Anderhub, der als Fotojournalist sein Geld verdient, fotografiert Bewegung, Licht, Architektur. Er porträtiert Tänzer, Kirchen und Städte. In verwaschener Optik oder mit rätselhafter Perspektive. Immer wieder arbeitet er mit Entfremdung, schafft er aus einem wirklich erlebten Moment eine geheimnisvoll unwirkliche Situation. Seine Bilder scheinen künstlich, sie bilden aber ausschließlich Vorgefundenes ab. Damit steht Anderhub in der Fotografie ziemlich alleine da. Entweder künstlich, abstrakt oder real, reportagehaft, darauf konzentrieren sich die meisten seiner Kollegen. Der Luzerner Fotograf hat einen außergewöhnlichen Blick. Um allerdings wahrzunehmen, was er beim Aufnehmen eines Bildes gesehen hat, muss man sich auf seine ruhigen, fast die Zeit anhaltenden Bilder einlassen. Der erste, vielleicht graue Eindruck trügt. Marion Hartig

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