Kultur: In der Fremde hier wie dort
Birgit Biehl reist allein durch Afrika, durch tiefstes Elend, und fragt sich: Möchte ich wirklich eingreifen?
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Birgit Biehl reist allein durch Afrika, durch tiefstes Elend, und fragt sich: Möchte ich wirklich eingreifen? „Erst musst du fertig werden mit Hunger und Durst, Schmerz, Alleinsein, Fremdsein, Schuld und Scham, mit dem Versagen der eigenen Maßstäbe unter dem viel besungenen afrikanischen Sternenhimmel.“ Birgit Biehl wurde mit all dem fertig – und nicht nur das: Sie sehnt sich immer wieder dorthin zurück: obwohl die Armut so groß ist. Aber es gibt auch Reichtümer, die sie beglücken. Jedes Jahr reist die Krefelderin ganz allein – nur mit dem kleinen Rucksack – durch Mali, Burkina Faso, den Tschad, Sudan, Eritrea, Ägypten ... Inzwischen ist sie in mehrere afrikanische Familien aufgenommen, bringt mit ihnen gemeinsam die Ernte ein, hilft den Kranken und darf auch an die geheimen heiligen Orte. Birgit Biehl ist zwar 61 Jahre alt, aber kein bisschen Reise-müde. Am 23. September kommt sie in die Stadt- und Landesbibliothek und wird erzählen, „wie sie sich einen Weg barfuß über die Splitter der eigenen Überheblichkeit hin zu Bescheidenheit“ bahnt. Nicht nur in ihrem Buch „Splitter im Sand. Lektionen am Wege“ erzählt die Islamwissenschaftlerin von dieser so anderen Welt, die inzwischen auch die ihre geworden ist. Sie möchte ins Gespräch kommen über ihr Thema: „In der Fremde hier wie dort“. Der Anlass könnte nicht besser gewählt sein: Die Woche des ausländischen Mitbürgers, denn für sie ist es eine Notwendigkeit, sich Fremden zu öffnen, ihnen mit Respekt und Zuneigung zu begegnen. Birgit Biehls Reisen haben immer Folgen: eine ist der Aufbau einer Schule im Osten Malis, wo es kein Wasser, keinen Strom gibt. Sie helfe aber nicht wie die großen Organisationen. „Mein Engagement geht mit den Dorfbewohnern Hand in Hand und ist sehr kleinschrittig. Es soll nicht so eingreifen, dass es ihre Kultur verändert.“ Denn zuallererst hat sich Birgit Biehl einen ganz eigenen Blick auf das Eigene angewöhnt. „Natürlich ist es ein Schock, wenn man die Armut in Afrika sieht. Kinder sterben an Hunger und erleben ein grauenvolles Ende. Dennoch sind die Menschen in ihrer religiösen Sicherheit fröhlich. Wir in Deutschland haben hingegen alles und sind ständig unzufrieden. Es gibt soziale Verrohung, den Zerfall von Familien: eben seelisches und soziales Elend. Da fragt man sich schon: Was ist eigentlich schlimmer, und möchte ich wirklich eingreifen?“ Wenn sie sich mit ihrem Kompass auf den unbekannten Weg macht, lässt sie die Familie bewusst zurück. „Man ist viel offener, wenn man allein reist, ohne Auto, ohne Hotel.“ Das hält sie so seit ihrem Studium in Paris. Dort knüpfte sie 1965 die ersten Kontakte zu Afrikanern. Inzwischen reist sie von Cousin, zu Cousin, zu Cousin... Und da sie die Sprachen beherrscht, sind daraus sehr persönliche Kontakte entstanden. „Jede neue Reise ist intensiver als die zuvor.“ Aber schön sei es natürlich auch, wieder nach Hause zu kommen: auch, um das Erlebte nieder zu schreiben und in Gesprächen weiter zu geben. „Denn ich möchte, dass wir Respekt entwickeln für Menschen, die zu uns kommen.“ Ihr Sohn habe inzwischen einen schwarzen „Bruder“. „Auch die persönlichen Kontakte werden kommen“, ist sie sich sicher. Doch noch wollen die eigenen Kinder nicht in ihre Fußtapfen treten. Birgit Biehl hat die Kraft, sich immer wieder völlig zu lösen von der vertrauten Welt, sich ständig erneut in Frage zu stellen. Sie taucht ein in ein anderes Leben und erarbeitet sich die Gefahr und das Glück von Freiheit. Heidi Jäger Lesung und Gespräch am Freitag, dem 23. September, 19 Uhr, in der Stadt- und Landesbibliothek
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