Kultur: In der sanften Mangel der Propaganda In der Arche wurde „Ich klage an“ diskutiert
Das Urteil spricht der Zuschauer. Ein Urteil des Herzens, denn nach knapp zwei Stunden in der sanften Mangel der Propaganda bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als den ehrenvollen Professoren Heydt, gespielt von Paul Hartmann, freizusprechen.
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Das Urteil spricht der Zuschauer. Ein Urteil des Herzens, denn nach knapp zwei Stunden in der sanften Mangel der Propaganda bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als den ehrenvollen Professoren Heydt, gespielt von Paul Hartmann, freizusprechen. Der Film „Ich klage an“ ist ein Paradebeispiel dafür, dass gute Überzeugungsarbeit sozusagen durch die Hintertür funktioniert.
Am 29. August 1941 wurde „Ich klage an“ im Berliner Capitol-Kino uraufgeführt. Es war der filmische Versuch der Nationalsozialisten mittels eines Melodrams die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit der Euthanasie, der „Vernichtung lebensunwerten Lebens, wie es im NS-Jargon hieß, zu überzeugen. Am Dienstag sprach Norbert Clasen in der Arche am Bassinplatz vor knapp 50 Gästen über „Ich klage an“ und dessen Wirkung. Erzählt wird in dem Film die Geschichte der Hannah Heydt (Heidemarie Hatheyer), der Frau des Professors, die unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt und ihren Mann darum bittet, sie zu töten, ehe sie vollends hilflos nur noch als „Fleischklumpen“ dahinvegetiert. Ihr Mann, nachdem er erkennen muss, dass seine Versuche im Labor zur Rettung seiner Frau erfolglos bleiben, gibt ihr die tödliche Dosis Arsen und muss sich am Ende vor Gericht dafür verantworten. Ein Urteil wird nicht gesprochen, doch alle, ob Richter, Staatsanwalt oder der größte Teil der Geschworenen, zeigen großes Verständnis für Heydts selbstlose Tat.
Als „gefährlichsten Film“ im Dritten Reich bezeichnete Norbert Clasen „Ich klage an“. Mittels bekannter Schauspieler, dem Regisseur Wolfgang Liebeneiner und dem Komponisten Norbert Schultze sollte das problematische Thema Sterbehilfe massenkompatibel gemacht werden. Wie Clasen, der früher als Geschichtslehrer gearbeitet hat, in seinem Vortrag zeigt, ließen die Nationalsozialisten dabei nichts unversucht. Ob die romantisch verklärte Sterbeszene oder die Läuterung des Arztes Dr. Lang (Mathias Wieman), ein Freund der Familie Heydt und vehementer Gegner der Sterbehilfe, hier wird hartnäckig das Gefühl des Zuschauers bearbeitet, so dass ihm am Ende nichts anderes übrig bleibt, als Verständnis zu zeigen.
Geschickt ist hier der Fall einer schweren und hoffnungslosen Krankheit gewählt. Die betroffene Hannah will freiwillig aus dem ihr nun sinnlosen Leben scheiden. Kein Wort von den bis dahin über 100 000 ermordeten Behinderten, die in der so genannten Aktion T4 umgebracht wurden. Am Beispiel der todkranken Hannah sollte gezeigt werden, dass die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ ein Akt der Erlösung, eine Befreiung sei. Zuerst sollte das Herz ein Urteil fällen, später dann ein Gesetz die Euthanasie legitimieren.
Clasen sprach davon, dass „Ich klage an“ ein sehr erfolgreicher Film gewesen sei, weil er neben hohen Besucherzahlen 1942 in Italien einen Filmpreis gewann. Ob aber ein Filmpreis aus dem ebenfalls faschistischen Italien in Kriegszeiten als Garant für Erfolg gelten kann, muss fraglich bleiben. Auch die anschließende Diskussion über Sterbehilfe in heutiger Zeit. Clasen sprach mit seinem Plädoyer gegen eine Freigabe von jeglicher Sterbehilfe vielen Gästen aus dem Herzen. Denn nicht wenige sehen in der Freigabe bei bestimmten Fällen nur den ersten Schritt, der, wie ein Besucher sagte, eine ganze Lawine lostreten könnte. Und fast schon zwangsläufig wurde dann auf den Film „Ich klage an“ verwiesen. Derartige Verbindungen herzustellen, erzeugt ganz schnell ungute Gefühle. Denn so zu argumentieren, das klingt irgendwie nach Propaganda. Dirk Becker
Dirk Becker
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