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Kultur: In der Warteschleife

Iranischer Alltag / Einstein Forum stellt provozierende Zeichnungen von Parastou Forouhar aus

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Iranischer Alltag / Einstein Forum stellt provozierende Zeichnungen von Parastou Forouhar aus Parastou Forouhar braucht nur wenige, ganz bestimmte Figuren für ihren Comic. Um nachzuzeichnen, wie Alltag im Iran unter dem Ajatollah Chomeini aussieht, reichen der Künstlerin die schwarzverhüllten Statisten, die Abgeordneten mit den dunklen Bärten, der korpulente Befehlshaber, die salutierenden Soldaten, die Durchsucherin, der nach unten blickenden Imbissmann und das Duo „Ich und die Anwältin“. Mit diesen Figuren spielt sie nach, was sie erlebt hat. Überwachung total und Machtlosigkeit gegenüber Befehlshabern. Parastou Forouhar wuchs im Iran auf. 1998 wurden ihre Eltern, beide oppositionelle Politiker, ermordet. Sie selbst lebt seit 1991 in Frankfurt am Main. Im Einstein Forum präsentiert die in ganz Deutschland bekannte Künstlerin seit Dienstag zwei ihrer aktuellen Serien. Neben den comichaften Tintenstiftzeichnungen „Schuhe ausziehen“ zeigt sie „Geschlechtsverkehr-Schilder“. Auf runden, rot umrandeten Achtungszeichen stellt sie die Hierarchie von Mann und Frau nach dem Islam dar. In beiden Reihen zeichnet sie stark vereinfacht. Sie arbeitet mit Symbolen, lässt für die Bildaussage nicht notwendiges konsequent weg. Mit ihrem Minimalismus grenzt sich Parastou Forouhar von der orientalisch Kunsttradition ab, keine satte Buntheit, pompöse Muster oder geschwungenen Schriftzeichen tauchen in ihren Arbeiten auf. Doch dieser Purismus ist keineswegs typisch für ihre Werke. Im Berliner Haus der Kulturen der Welt zum Beispiel zeigt sie derzeit im Rahmen der Schau „Entfernte Nähe. Neue Positionen iranischer Künstler“ einen mit bunten Ornamenten ausgeschmückten Container. Ornamenten allerdings, in die sie unauffällig Gewaltmotive einbaut. Die schönen Muster sind alles andere als harmlos. Hier greift die Künstlerin bewusst orientalische Kunst auf – um sie zu entfremden. Seit dem Tod ihrer Eltern dreht sich ihre Kunst um neue Themen. Früher befasste sich Parastou Forouhar mit Identität, Orientierung und Migration. Heute fokussiert sie Macht und ihre Wirkung auf persönliche und gesellschaftliche Freiräume. In ihren Comics zeigt sie Frauen, die in Verwaltungen und Gerichten stundenlang darauf warten, einen Brief abgeben zu können oder einen Termin zu bekommen. Dicht stecken zwei Frauen in einem Imbiss die Köpfe zusammen, sie reden im öffentlichen Raum miteinander, in der Wohnung besteht Wanzengefahr. Die Handlungen sind leicht erkennbar, lassen sich aber dennoch nicht immer auf den ersten Blick erschließen. Zwar sind die Figuren sehr ausdrucksstark. Gesichtslos und klischeehaft stellt Parastou Forouhar sie dar und nimmt ihnen damit jede Individualität, macht sie zu allgemein gültigen, exemplarischen Figuren. Den dicken Machthaber, den weißen, schattenhaften Spitzel, die Statisten. Kurze Bildunterschriften kehren die Gedanken der Darsteller nach außen. Eine wartende Frau denkt über den kümmerlichen Bartwuchs des Sekretärs nach, eine andere beschwert sich über den schlechten Geruch im Raum. Die Sätze verdeutlichen nicht das Bild, sie verharmlosen, machen die plakative Szene der Erniedrigung zu einer Bagatelle. Gerade dadurch aber bekommen die Zeichnungen einen spitzen, provozierenden Unterton – der den Comic erst richtig interessant macht. Im Iran würden ihre Bilder intensiver wahrgenommen, ist sich Parastou Forouhar sicher. Und sie hat recht. Ein Insider erkennt die stilisierten Szenen auf den ersten Blick. Wer mit iranischer Zeitgeschichte weniger vertraut ist, muss sich den Zeichnungen erst annähern. M. Hartig

M. Hartig

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