
© Manfred Thomas
Kultur: Innerliches Beben
Sylvester Groth war innerhalb seiner Werkschau zu Gast im Filmmuseum
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Sein Name ist offensichtlich noch kein Selbstläufer. Nicht mal 30 Zuschauer fanden am Donnerstagabend den Weg ins Filmmuseum, um den vielbeschäftigten, aber sich scheinbar zu wenig einprägenden Sylvester Groth innerhalb der Werkschau live zu erleben. Dabei wurde er nicht erst durch seine Rolle als Joseph Goebbels in der Großproduktion „Inglourious Basterds“ von Quentin Tarantino „geadelt“.
Der 1958 geborene Sachsen-Anhaltiner gilt spätestens seit Frank Beyers Defa-Film „Der Aufenthalt“ von 1984, in dem er den Kriegsgefangenen Mark Niebuhr spielte, als Charakterdarsteller, der auch ohne große Dialoge tiefliegende Emotionen freizulegen vermag. Immer wieder wurde der Grimme-Preisträger von verschiedenen Regisseuren in Uniformen gesteckt, wohl gerade weil sein weiches, makelloses Gesicht so gar nicht zum raubeinigen Soldatendasein passt. Das intensive, meist sehr ernsthafte Spiel des Darstellers zeichnet sanft getupfte und doch eruptive Seelenlandschaften. Man schaut in die großen, oft verloren wirkenden Augen und erahnt die Abgründe. Aber immer bleibt etwas, das sich nicht fassen lässt in diesem innerlichen Beben. Ein Rest Geheimnis.
Ins Filmmuseum kommt der Schauspieler ganz smart mit weißen Turnschuhen, weißem Hemd, bordeauxroter Lederjacke und hochgeschlagenem Kragen. Das Haar, leicht gegelt, ist zurückgekämmt. Auf dem ersten Blick ein liebenswerter Sonnyboy, der sein Herz auf den Lippen trägt. Braucht er als Schauspieler kaum Text, um etwas zu erzählen, ist er als Privatmann durchaus der gute Unterhalter, der mit Anekdoten für die richtige Würze im Smalltalk sorgt. Moderatorin Jeannette Eggert hat also leichtes Spiel, den Abend im fast intimen Kreis zwanglos anzugehen. Sie muss nur Titel hinwerfen, die in der Werkschau im Filmmuseum gezeigt werden, und schon schmückt sie der 53-Jährige blumenreich aus.
„Das Haus am Fluß“ von Roland Gräf sei die reinste Alkoholproduktion gewesen, erinnert er sich an die Festgelage im damaligen Interhotel Potsdam, dem heutigen Mercure, wo die 7. Etage immer für die Defa-Leute reserviert gewesen sei. „Dort haben wir mit allen Kollegen abgehangen und die Nächte durchgefeiert. Damals hielten wir das noch aus.“
Als ihn Dani Levy 2007 in der Farce „Mein Führer“ als Goebbels besetzte, sei er endlich aus der deutschen Betroffenheitsecke herausgekommen und konnte sich auch als Komödiant beweisen. Er habe Levy überzeugen können, diese Rolle im Kölschen Singsang-Dialekt zu sprechen, den er sich vom Kollegen Matthias Brandt per Bandmitschnitt dann abgehört habe und sich zu eigen machte. Die Rolle brachte ihm 2007 den Deutschen Kritikerpreis ein.
Tarantino, der alle Filme, auch die deutschen kenne, wie Sylvester Groth euphorisch über den US-amerikanischen Regisseur berichtet, bot ihm dann auch für seine „Inglourious Basterds“ die Rolle des Goebbels an. „Ich fand es totalen Quatsch, zwei Mal die gleiche Rolle zu spielen. Aber Tarantino war mir schon ein Begriff.“ Jedenfalls ging er trotz innerer Abwehr, wie er sicher etwas kokettierend erzählt, nach Babelsberg zum Vorsprechen. „Ich hörte sofort ein lautes Schreien: „Das war ,Wutti’, Martin Wuttke, mit seinem durchdringenden Organ. Und auch Tarantino schrie und lachte mit. Wutti kam total verschwitzt raus und hatte die Rolle als Hitler.“ Wenige Minuten später war auch Sylvester Groth engagiert. „Tarantino spielt mit einem und hat dabei einen ganz durchdringenden Blick. Er schaut, ob du dich führen lässt. Dieser Mann gibt einem eine solche Energie und du gibst sie zurück.“ In seiner Ode an Tarantino bezeichnet Groth den Regisseur gar als „Sonne“, der am Set alles getan habe, „dass du so gut wie möglich bist. Er rollt dir als Schauspieler geradezu den roten Teppich aus.“ An die 80 Mal wiederholte Sylvester Groth seine neunminütige Szene und gab immer hundert Prozent. „Das machst du für ihn.“ Bewundernd äußert er sich auch über die Kompromisslosigkeit in dieser Produktion. „Wenn wir im deutschen Film mit Wasser kochen und uns manchmal finanziell so beschneiden, dass es nur noch Scheiße werden kann und du das Arschloch bist, wenn du nicht mitkumpelst, kochen die mit Champagner. Auf Geld wird einfach nicht geachtet. Die denken globaler. Tarantino sagt: Mein Film wird in der ganzen Welt gesehen, also muss es auch ein Weltfilm werden.“
Der offenherzige Sylvester Groth schaut aber auch gern auf seine Anfangsfilme zurück, wie auf „Fronturlaub“ des damaligen HFF-Regiestudenten Bernd Böhlich, ein 30-minütiges Meisterwerk, das ganz ohne Worte auskommt. Dieses Kammerspiel mit Dagmar Manzel, das ihn als jungen Soldaten zeigt, der in die Heimat zurückkehrt und eine gespenstische Isolation erlebt, war ebenfalls im Filmmuseum zu sehen.
Dass er Schauspieler wurde, hatte für Sylvester Groth ganz handfeste Gründe. Er war schon als Kind beim Hörfunk Leipzig und bekam mit, was die erwachsenen Schauspieler für Gage erhielten. „Du spielst einfach, kriegst dafür satte Knete und kannst lange schlafen. Ein gut bezahlter Spaß. Und berühmt kann man auch noch werden.“ Also ging er es selbstbewusst an, bewarb sich an der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“ und wurde angenommen, obwohl er den Text vergessen hatte. Doris Borgmann, eine der Lehrerinnen, die Sylvester Groth beim Abschlussvorspiel erlebt hatte, ist mit im Publikum des Filmmuseums und erzählt, wie die geheiligte Gemeinschaft der Kunstinstitute damals zusammensaß, um über die Zukunft der Absolventen zu entscheiden. „Da sprang Christoph Schroth auf und sagte: ,Leute, bevor sich einer was ausdenkt: Der Groth gehört mir.’ Und Schroth war nicht irgendwer.“ Also ging Sylvester Groth nach Schwerin ans Theater. Diese Geschichte habe er jetzt das erste Mal gehört, sagt der Schauspieler nicht ohne leisen Stolz. Er erinnere sich, dass er 12 Rollen in einer Spielzeit bei Schroth gespielt habe. In die Premiere eines Horvath-Stücks kam die lebende Legende Wolfgang Heinz vom Deutschen Theater nach Schwerin gereist. „Er schlief die ganze Vorstellung durch. Und am nächsten Tag sollte ich bei ihm vorsprechen. Ich bin schlecht im Vorsprechen. Der alte Mann kam rauf geächzt bis unters Dach der Probebühne und ich schmiss mich mit Goethes ,Tasso’ voll rein. Und wieder schlief der Professor. Als ich laut meinen Koffer aufsetzte, öffnete er die Augen und legte los mit der Kritik. Aber die Rolle am Deutschen Theater hatte ich“, so Sylvester Groth mit seiner warmen dunklen Stimme.
Jetzt arbeitet er gerade mit Frank Castorf in der Berliner Volksbühne an Kleist „Die Marquise von O“ und habe viel Spaß dabei, so der Mime, der auch in Gwisdeks „Abschied von Agnes“, Vilsmaiers „Stalingrad“ und immer mal im „Polizeiruf“ und „Tatort“ mitmischte. Wieder liegen zwei spannende Drehbücher auf seinem Tisch. „Wenn die klappen, kommt wat schönet“, so der fröhlich berlinernde Jerichower, wirft den bunten Schal um den Hals und lässt das Publikum mit seinem „Aufenthalt“ im Kino zurück. Es wird wieder ruhig und ernst und sehr intensiv.
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