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Was andere als langweilig und hässlich abtun, schaut Tom Korn genauer an. Und ahmt es in Teppich-Bildern nach. Seine wie Malerei wirkenden textilen Collagen sind derzeit im Bürgerhaus am Schlaatz ausgestellt.

© Anja Pentrop/Bürgerhaus

Kultur: Ins Detail geguckt

Tom Korns ostmoderner „Beton und andere flauschige Arbeiten“ im Bürgerhaus am Schlaatz

Stand:

Tom Korn „malt“ kalte Betonfassaden zum Streicheln schön. Er nimmt dafür nicht den Pinsel zur Hand, sondern greift zu einer weitgefächerten Farbpalette aus Teppich-Musterkatalogen. Mit scharfen Skalpell schneidet der seit vier Jahren in Potsdam lebende Künstler die bis zu zweimal zwei Millimeter kleinen textilen Puzzleteile zurecht, um sie nach seinen Fotos und Zeichnungen maßstabgerecht in Collagen zusammenzufügen: Respektvoll akkurat Motive sozialistischer Architektur nachahmend. Was andere als langweilig, gar schrecklich abtun und lieber heute als morgen entsorgt sehen wollen, hat für Tom Korn durchaus ein differenziertes Gesicht. „Ich habe ins Detail geguckt.“

Da hängen sie nun vereint: die nachgebildeten, sich plastisch herausschälenden Fassadenteile aus Potsdam, Halle oder Dresden – flauschig in einer Ausstellung die Wände und Pfeiler im Bürgerhaus am Schlaatz überziehend. Auch aus Leverkusen ist eine plüschige Nachbildung dabei und könnte in ihrem grau-blauen Antlitz genauso aus Berlin-Marzahn stammen. Einige dieser Bauten, die der Künstler in Velours verewigte, sind bereits abgerissen.

Der 43-jährige gebürtige Kölner betrachtet eine vergessene, verachtete Architekturepoche auf ganz unideologische Weise. Er gehört zu der Potsdamer Gruppe „Metropolar“, eine vor drei Jahren gegründete Initiative von Künstlern, Architekten und Stadtentwicklern, die als Gegenstück zu „Mitte schön“ die heitere Argumentation bevorzugt und blinde Barockisierungswut mit subtilen Tönen geißelt. „Es sah so aus, als wenn die Stadt auf uns gewartet hätte, so viel Zuspruch hatten wir“, sagt der Mann mit der leisen warmen Stimme zufrieden und erinnert an das gut besuchte Festival „Wird die Erbschaft abgelehnt?“Die (Ost)moderne in Potsdam und anderswo“ im vergangenen Jahr im Kunsthaus „sans titre“. Auch das Metropolar-Buch „Und der Zukunft zugewandt – Potsdam und der gebaute Sozialismus“ fand große Beachtung und heizte die Diskussion über Erhalt und Abriss des DDR-Bauerbes an. Metropolar sieht sich als Augenöffner. „Wir wollen den herrschenden Schönheitsbegriff infrage stellen, der alles, was geschnörkelt ist, adelt.“

Tom Korn, der „Wessi“, rockt den Osten. Nicht nostalgisch verklärt, sondern mit wohlgesonnenem Augenmaß. „Es gab in Potsdam einen wunderbaren Giebelstrahl von Ostarchitektur in den Barock hinein“, schwärmt er von der Bebauung Am Kanal bis hin zum inzwischen abgerissenen Haus des Reisens. Ein Grund zum Resignieren, wenn er vielleicht mit ansehen muss, wie die Fachhochschule, der Staudenhof, das Rechenzentrum unter die Abrissbirne kommen? Tom Korn verneint. „Die Leute schauen jetzt genauer hin – gerade in dem Bewusstsein, dass es bald weg sein könnte.“

Er selbst hält an seinen Ost-Arbeiten fest und hat wohlweislich durchaus spannende Fassadendetails von Schwimmhalle, Terrassenrestaurant „Minsk“ und der Fachhochschule dingfest gemacht, um sie wohnlich-weich zur eigenen Kunst erhoben. Was aber findet er schön an einem Betonklotz aus Danzig aus den 70ern, den er aus 5000 Teilen akribisch nachbildete und in seiner strengen grau-blauen Fenstergliederung wenigstens mit grüner Ampel und Abbiegepfeil als kleinen Gag auflockerte? „Es gibt immer Sehnsuchtsorte“, sagt er hintersinnig. Die Städter wünschten sich Fachwerkhäuser, er, aufgewachsen in einem Bauernhaus auf dem Land, vielleicht eine gerasterte Alternative, sagt er. „Vielleicht steckt dahinter auch die Sehnsucht nach einem geregeltem Leben.“

Nach seiner Lehre als Schriftsetzer und als letzter Bleisetzer Kölns war Tom Korn überall in Europa unterwegs, um Kultur anzuzetteln. Im Winter arbeitete er so viel wie nötig in Fabriken, im Sommer organisierte er Ausstellungen. Gemalt hat er durch alle Jahreszeiten. Und bewarb sich schließlich an der Kunsthochschule. Leipzig musste es sein, dort wo Neo Rauch unterrichtet. „Dort lernt man wirklich Zeichnen und Malen. Aber wenn man von Montag bis Freitag an einem einzigen Stillleben zuppeln soll und man schon nach einem Tag fertig ist, lässt man sich mit 29 Jahren darauf nicht mehr ein.“ Also ging er – und kam vor elf Jahren auf den Teppich. Mit seiner Vorliebe für Haushaltsauflösungen geriet er zufällig in den Räumungsverkauf eines Möbelhauses. Die Musterkataloge von Teppichherstellern begeisterten ihn sofort: die Haptik, die Farben, die Textur. Unter 400 Farben kann der fleißiger Sammler inzwischen wählen. Erst „malte“ er herzerweichende Love-Stories ins Gewebe, dann schnitt er die Architektur zurecht. Nicht nur die Platte faszinierte ihn, auch polnische Kioske „K 67“, Plastikmodelle, flott gegossen, fanden sein Augenmerk. „Man musste sich immer runterbücken, um in das kleine Loch sprechen zu können. Alles war darin untergebracht: Schlüsseldienst, Hotdog-Bude, Wechselstube“, erinnert er sich begeistert. Nun sind diese Kioske wie kleine Ufos heftgroß an den Pfeilern am Schlaatz gelandet: im satten Grün oder Rot sich vom verwaschenen Graublau der wie gemalt wirkenden Teppich-Fassadenteile abhebend.

Im vergangenen Jahr machte Tom Korn ein neues Eldorado des Ostens auf und fand in Skopje und Pritina noch viel spannendere Architektur. Die Betonkonstruktion auf dem Dach von zwei ausgebrannten Häusern in Sarajevo hat er maßstabgerecht in Beton nachgegossen und durch einen Teppichfries miteinander verbunden. Für seine Betonbau-Experimente lieh sich der ideologiefreie „Ostalgiker“ aus der Bibliothek Fachbücher und experimentiert nun in seinem Atelier mit dem grauen Zementgemisch. „Jeder Guss wird besser.“ Tom Korn, der sich schon als kleiner Junge mit Legobausteinen an ewige Wiederholungen und Reihungen erfreute, ist inzwischen sesshaft geworden. In einem Altbau in Potsdam-West. „Die Wohnung ist so günstig, dass die Platte nicht mithalten kann.“

Wird es Metropolar weiter geben? Tom Korn weiß es nicht. „Für dieses Jahr haben wir keine Projektmittel beantragt. Was wir in Potsdam tun konnten, haben wir getan. Aber wir würden uns gern vernetzen, vielleicht mit Dresden und Weimar, wo es auch eine Ostarchitekturszene gibt.“ Und vielleicht erobern sie ja auch den Westen. Denn auch da wird massenhaft abgerissen. In den Arbeiten von Tom Korn wird der harte Beton der Platte jedenfalls weiter gefeiert: auf verwirrend sanfte Weise.

Zu sehen bis 12. März, Bürgerhaus am Schlaatz, Schilfhof 28, Eintritt frei

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