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The eternal emigrant. Ilya und Emilia Kabakov (2002) in der Villa Schöningen.

©  Andreas Klaer

Von Klaus Büstrin: Ins Heute geholt

Die Villa Schöningen als Geschichtsmuseum und Ort für Kunstausstellungen – Eine persönliche Entdeckung und Wiederentdeckung nach all dem Rummel um die Eröffnung zum Mauerjubiläum, und eine Reise in die Vergangenheit

Stand:

Erstaunlich. Gut 20 Minuten ist man allein im Kabinett. Allein mit den großformatigen Gemälden von Neo Rauch. Gerade dieser Maler der Neuen Leipziger Schule, so denkt man sich, müsste viele Betrachter anziehen. Zwar gehen an diesem Vormittag im Museum Villa Schöningen viele Besucher ein und aus, aber der nicht sofort einsehbare Rauch-Raum bleibt verlassen. An seinen Türen prangen Verbotsschilder: Bitte nicht fotografieren. Kein einziger Hinweis auf den Maler. Erst die freundliche Museumsmitarbeiterin an der Kasse hatte gefragt: Haben Sie auch die Bilder von Neo Rauch gesehen? Nein, ist die Antwort. Sie erklärt mir den Weg. Und dann kann ich mit den Gemälden Rauchs, dem derzeit gefragtesten Impulsgeber der internationalen Kunstszene, Zwiesprache halten. „Schicht“, „Das alte Lied“ oder „Kommen wir zum Nächsten“ sind Bilder, in denen er Zeiten und Räume auf seinen bühnenartigen Tableaus durchdringt und manchmal zu rätselhaften Erzählsträngen verdichtet: Ernüchterungen nach Utopien und rastlosen Fortschrittsgesten.

Neo Rauch gehört zu den Künstlern, deren Werke die Kunsthalle Wien in der Villa Schöningen in ihrer aktuellen Ausstellung „1989“ mit dem Untertitel: „Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft? Anmerkungen zum Epochenbruch“ zeigt. In zwei Teilen ist die in der österreichischen Hauptstadt präsentierte Schau auch in Potsdam zu erleben. Gemälde, Videocollage, Film und Installation beschäftigen sich nicht mit einer vordergründigen Anschauung zum Epochenwechsel von 1989, sondern sie wollen, wie die Kuratoren der Ausstellung sich wünschen, mit Chiffren, Metaphern, Atmosphären und Gefühlslagen dem Verfall eines Systems und dem politischen Umbruch nachspüren.

Nachspüren: Gegenüber der Villa Schöningen, kurz vor der Glienicker Brücke, entdeckt man seit kurzem ein großes Schild mit der Mitteilung, dass vor 20 Jahren, am 9. November 1989 um 20 Uhr, die Teilung Deutschlands und Europas ein Ende hatte. Die Glienicker Brücke das Symbol der deutschen Teilung ist seitdem auch das der Wiedervereinigung geworden. 38 Jahre Grenzziehung sind zwar in der 360 Jahre langen Brücken-Geschichte kurz, aber im Leben eines Menschen kann sie eine Ewigkeit dauern. Eine Brücke sollte eigentlich verbindend sein. Die Glienicker Brücke, die 1949 von den DDR-Oberen sogar Brücke der Einheit benannt wurde, war jahrzehntelang aber ein Bau der Trennung von Ost und West. Bis 1961 konnte man den Übergang noch als Fußgänger von Potsdam nach Westberlin überqueren. Doch überwachten auf der Potsdamer Seite Volkspolizisten und sowjetische Soldaten mit Misstrauen das Kommen und Gehen von Passanten. Personalausweise wurden kontrolliert, das Innere der Taschen durchwühlt. Schikanen waren an der Tagesordnung. Ab 13. August 1961 war es dann gänzlich aus mit dem Betreten der Brücke. Nur Angehörige der Militärverbindungsmissionen und hochrangige Agenten der Militärlager, die hier ausgetauscht wurden, waren die „Besucher“. Die Schönheiten links und rechts konnten sie wohl kaum ausmachen, denn die Mauer an den DDR-Seeufern versperrte weitgehend den Blick auf die Kulturlandschaft. Heute kann man wieder der Rede eines Theologen, die er bei der Eröffnung der Brücke 1834, die von Schinkel stammte, hielt, zustimmen, dass man das Bauwerk und die schöne Gegend mit Wohlgefallen erleben könne.

Der Blick aus den Fenstern oder vom Dach der Villa Schöningen offenbart einen faszinierenden Blick auf die Brücke, auf die Seen, auf die Schlösser in Klein-Glienicke und Babelsberg sowie auf die Heilandskirche in Sacrow. König Friedrich Wilhelm IV., der Monarch mit den vielfältigen Bau- und Gestaltungsträumen, hatte auch hier seine nimmermüde, spielerische Phantasie walten lassen. Dies geschah nicht aus einer Laune heraus, sondern der König verwirklichte ganz gezielt seine Idee, die Landschaft rund um Potsdam und Berlin in eine Welt der Schönheit zu verwandeln. Und gerade hier an der Brücke, wo man einen ersten Eindruck von Potsdam vermittelt bekam, ließ der Monarch das Haus des Schiffbaumeisters Nüssoll von dem Architekten Ludwig Persius 1843/44 umbauen. Nüssolls Gebäude trat, so ein zeitgenössischer Bericht, „mit der Umgebung und seinen jenseits des Flusses gelegenen Vis-á-vis, den prinzlichen Behausungen Babertsberg und Glienike, auf die unangenehmste Weise in Contrast“. Eine italienische Turmvilla entstand. Zunächst wohnte in ihr Kurd Wolfgang von Schöning, der Hofmarschall des Prinzen Carl, der gegenüber im Schloss Glienicke residierte und ein Bruder Friedrich Wilhelms IV. war. Die Gestaltung des Äußeren war für Persius wichtigstes architektonisches Ziel, nicht die Bequemlichkeit für die Bewohner. Spätere Besitzer haben die Villa mit Umbauten bedacht, um sie bewohnbarer zu machen. Besonders die jüdische Bankiersfamilie Wallich war darin aktiv. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde dann auch für sie eine Periode des Terrors, der Verfolgung und Emigration. Bankdirektor Paul Wallich verlor allen Lebensmut. Er tötete sich selbst.

1945 zog die Rote Armee in die Räume der Villa ein, fünf Jahre später der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und ab 1952 ein Kinderwochenheim, das bis 1994 existierte. In all diesen Jahren gab es nur notdürftige Renovierungen. Denkmalpflegerische Aspekte waren ad acta gelegt. Die Familie Wallich bemühte sich nach der Wende um eine Rückübertragung, doch im Angesicht des äußerst desolaten Zustands und vor den dafür bereit zu stellenden Geldmitteln wichen die Erben schließlich vor den großen Aufgaben der Sanierung zurück. 1997 verkauften sie das Haus an den Architekten Dieter Graalfs. Doch als sein Bebauungsplan des Grundstücks und schließlich ein Abrissplan der Villa bei den Stadtverordneten Potsdams 1997 auf Ablehnung stieß, musste die Persius-Villa sich in einen Dornröschen-Schlaf begeben. Doch gleich zwei Prinzen erweckten sie, glücklicherweise nicht nach 100 Jahren, sondern nach einem Dezennium zu neuem Leben: der Potsdamer Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner sowie der Bankier Leonhard Fischer. Sie sanierten und restaurierten das Haus grundlegend, selbstverständlich nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten, auch den Garten, der aber erst im kommenden Frühjahr zur Geltung kommen wird.

Nicht für ihre persönlichen Zwecke haben Döpfner und Fischer die Villa Schöningen ins Heute geholt, sondern sie laden seit dem 8. November dieses Jahres alle Interessierten ein, sich über die Geschichte des Hauses, der Brücke, der Kulturlandschaft, der Teilung Deutschlands und der Wende an historischer Stätte zu informieren. Bei solch einem Thema kann es nicht nur um sachliche Darstellung gehen, sondern auch um emotionales Erinnern, um das Nichtvergessen. Die Wiener Kuratorin Lena Maculan erzählt vor allem mit Videoaufnahmen Geschichte. Architekten, Politiker, Zeitzeugen kommen zu Wort. Bei der Präsentation von Exponaten, ob Grafiken, Fotos, Urkunden, Grenzschilder oder Kinderzeichnungen, viele Potsdamern übergaben sie dem Museum als Geschenk oder Leihgabe, war nicht Masse ausschlaggebend, sondern exemplarische Beispiele. Das Erschütterndste: der „Stalinrasen“, ein Teppich aus stählernen Spießen, zwei Meter hoch, der direkt an der Grenze ins Wasser geworfen wurde. Bei seinem Anblick braucht man sich nicht ausmalen, was geschah, wenn jemand bei einem Fluchtversuch in die Havel sprang und den „Rasen“ traf – tiefes, grausames Mittelalter!

Unter dem Sternenhimmel, der zu Persius‘ Zeiten ein beliebtes Gestaltungsmittel war, geht es nach oben. In die Räume mit seinen zum Teil kostbaren Decken. Hier finden die wechselnden Kunstausstellungen aus, die dem Thema der Dauerausstellung verpflichtet sind. Für die gegenwärtige Schau sind Gerald Matt und Geraldine Hug verantwortlich. Kunst von Ilya und Emilia Kabakow, Josephine Meckseper, Nero Rauch oder Marcel Odenbach sind zunächst bis Mitte Februar zu sehen. Odenbach zeigt ein Video mit dem Titel „Niemand ist mehr dort, wo er anfing“. Durch einen schmalen Mauerspalt lässt der Videokünstler in Collage-Technik seine eigene Sicht um die Vorgänge der Öffnung des Eisernen Vorhangs erleben: euphorisch, kritisch und nachdenklich. Die Bilder vergangener Gewalt von DDR-Polizisten, die auf Demonstranten einknüppeln, werden Szenen des Jubels und der Freude mit Menschen, die die Berliner Mauer mit ihren Händen einreißen, gegenübergestellt. Das befreiende Hämmern hört man noch bis auf die Straße, auf die Brücke.

Museum Villa Schöningen, Berliner Straße (Glienicker Brücke), Do-So, 12-18 Uhr. Katalog zum Museum 14,90 Euro, Katalog zur Kunstausstellung 29 Euro

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