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Kultur: Irritation erwünscht

Die Nomaden von Kunsttick ziehen mit „Kunst zeigt Raum“ in leerstehende Läden der Charlottenstraße

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Die Nomaden von Kunsttick ziehen mit „Kunst zeigt Raum“ in leerstehende Läden der Charlottenstraße Dagmar Hintzmann steht etwas ratlos vor den vollgehangenen Wänden. Finden ihre Bilder hier wohl auch noch ein Plätzchen? Die Potsdamer Floristin Suse Popp springt der Malerin bei: gerade die in warmen Naturfarben gemalten Bilder der Berlinerin würden prima zu den Blumenarrangements passen, an denen sie selbst gerade zaubert. Besser als die Farbexplosionen von Clemens Graf von Wedel, die derzeit den Raum kraftstrotzend einnehmen. Die Künstler müssen untereinander zu einer Lösung finden: in diesen Ausstellungsräumen gibt es kein Galeristen-Diktat. „Wir bieten nur den Rahmen", sagt Ingo Pehla und hilft – ganz Kavalier – Dagmar Hintzmann dennoch bei der Suche nach dem rechten Platz. Der Ort dieser unkonventionellen Kunstschau ist der ehemalige Laden Sicherheitstechnik Kürschnik in der Charlottenstraße. Seit langem steht er leer, nun füllt ihn das Projekt „Kunst zeigt Raum", hinter dem der Restaurator und Maler Ingo Pehla und Lars Kaiser von der Agentur „Kunsttick" stehen. Es ist der zweite leere Laden, den sie in der Charlottenstraße „besetzen" und damit zur quicklebendigen Vermarktung beitragen. Der erste Laden ist bereits wieder „bewohnt“. Die Ausstellungen der „Kunstnomaden“ sind ein Hingucker: Riesige weiße Masken baumeln derzeit von der Decke. Darunter lässt es sich auf Korkmöbeln gemütlich lümmeln. Die Bilder an den Wänden tragen die verschiedensten Handschriften und Qualitäten, sind ein ungewöhnlicher Mix experimentierfreudiger Gestalter. „Aber es geht nicht nur um Bildende Kunst, hier gibt es auch Lesungen, Musik, Performance – und bald auch eine Tischtennisplatte. Wir gestalten den Raum zu einem Platz, zu einem Austauschpunkt, und die große Irritation ist durchaus beabsichtigt“, beschreibt Ingo Pehla sein punkiges, offenes und auch ironisches „Panoptikum". Bis Anfang Oktober wird die jetzige Auswahl hängen, dann folgen Skulpturen. Im Dezember zieht die „Kunstkarawane“ weiter: denn Leerstand gibt’s überall, nicht nur in der Charlottenstraße. Die Kreise sollen künftig durchaus größer gezogen werden – aber stets in der Innenstadt: „als Pendant zur Konzentration an Potsdams Randzonen mit Uni, Lindenpark oder Schiffbauergasse." Mit ökonomischen Zwängen hat Ingo Pehla nicht zu kämpfen, denn die leer stehenden Räume sind mietfrei. Und verkauft ein Künstler etwas, gibt es 30 Prozent Gewinnanteil. Pehla und Kaiser sind es, die Künstler ansprechen, ob sie bei ihnen ausstellen wollen: junge, unerfahrene ebenso wie gestandene. Auch Mundpropaganda trägt ihre Gedanken weiter. Nicht nur für die Besucher wollen sie die Schwellenangst so niedrig wie möglich halten, auch für Künstler, die Galerien scheuen. Seit sieben Jahren ist Ingo Pehla freiberuflich als Restaurator und Farbgestalter tätig, hat gerade erst gemeinsam mit seinem „Kompagnon“, dem Maler Jürgen Stragies, den Eingangsbereich vom Werner Alfred Bad farblich rekonstruiert. Doch Pehla fühlt sich als Bauchmensch. Zwischendrin muss auch Platz für Neues sein: für Experimente, neue Orte, neue Gedanken. Er sei ein „Kosmokulturnik", der sein ganzes Leben lang studieren werde. Pehla ist gebürtiger Schwedter und seit 1981 mit vielen Unterbrechungen Potsdamer. Zwischendrin lagen die Studienorte in Dresden und im italienische Mantua. Dorthin versucht er jetzt Kontakte zu Künstlern aufzubauen, um auch etwas südliches Flair nach Potsdam zu holen. Aber vorerst sind es Potsdamer und Berliner Künstler, die die Charlottenstraße/Ecke Elfleinstraße in Beschlag nehmen. Nach einem erfolgreichen „Intro" gibt’s am Samstag die richtige Vernissage: mit viel Musik und sicher auch mit einem geeigneten Plätzchen für Dagmar Hintzmanns spannungsreichen Farb-Wohltaten.Heidi Jäger

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