Von Lena Schneider: Ist sie das nun, die Freiheit?
Getanztes Paradoxon: „BurkaBondage“
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Von Afghanistan nach Japan, von der traditionellen Verhüllung zur Fesselungskunst, vom Zuviel an Konsum zu den Defiziten einer ultrareligiösen Gesellschaft: Das Feld, das „BurkaBondage“ abschreiten will, ist weit. Die verschiedenen Pole zwischen denen sich das Stück von Helena Waldmann bewegt, liegen Welten auseinander – geografisch, politisch, sozial.
Und doch, so die These der Regisseurin, berühren sich diese Welten, wenn man nur genau genug hinschaut – zum Beispiel auf den Freiheitsbegriff. Hier hat sie ein provokantes Paradoxon ausgemacht: Die Sehnsucht nach größtmöglicher Freiheit vermittelt sich oft gerade über deren bewusste Beschränkung. Für die erotisch konnotierte Fesselungskunst heißt das: innere Befreiung durch körperliche Knebelung. Die afghanische Burka hingegen – als „Ganzkörpergefängnis“ verbrämt – ermöglicht es den Frauen oft erst, sich überhaupt in der Öffentlichkeit, auf der Straße bewegen zu können. Die These könnte aktueller, provokanter kaum sein: In Frankreich ist dieser Tage entschieden worden, dass die Burka aus dem öffentlichen Raum verbannt werden soll – weil dadurch „für die Republik wesentliche Werte“ verletzt würden. Dass man das auch anders sehen kann ohne gleich dogmatischer Verfechter der Ganzkörperverhüllung zu sein, zeigt Waldmanns Inszenierung.
Was zeigt sie noch? Ganz zu Anfang stehen sie vor uns auf der Bühne, die fleischgewordenen Klischees der beiden, aus eurozentristischer Perspektive gleichsam fremden Frauenbilder: Hier die Geisha im Kimono (Yui Kawaguchi), da die in eine blutrote Burka verhüllte „Afghanin“. Auch dass die Performerin, die sie spielt (Vania Rovisco), eigentlich Portugiesin ist, zeigt: Hier geht es um Projektionen. Waldmann evoziert sie, um sie wieder einreißen zu können: Unter dem Kimono verbirgt sich ein poppiges Tokiogirl. Und die Burkaträgerin beginnt zu rappen.
In der Bühne liegt ein riesiger weißer Fallschirm: ein zusammengesacktes Zelt, dazwischen lose im Raum hängende Seile. Mittig, in einem einbandagierten Kasten, schwebt Mohammad Reza Mortazavi, der live und virtuos auf einer persischen Rahmentrommel begleitet. Der Zeltstoff erinnert an die Burka, dient als Versteck, Rückzugsort, in einzelnen Bildern auch als Gefängnis. Mit den Seilen knebeln die beiden Performerinnen einander, in langen Szenen werden Fesseln an- und wieder abgelegt. An einer Stelle leckt Vania Rovisco immer wieder über die Hand, die sie bandagiert. Diese Sehnsucht nach Unterwerfung: ein verstörendes Bild. Danach, zu einem Päckchen eingeschnürt, baumelt die Gefesselte einen Moment lang über der Szene. Ist das nun die Freiheit, die ersehnte? Dann wohl schon eher der Moment, wenn Yui Kawaguchi hoch oben unterm Bühnenhimmel schwebt, lachend mit Armen und Beinen rudernd, ein Drachen im Wind, der kurz vergessen hat, dass auch er an einer Leine hängt.
Die Drachenszene ist sehr schön. Wer jedoch nicht im Programm gelesen hat, dass Drachensteigen in Afghanistan ein Volkssport ist, dass man dort so dem Alltag seltene Momente der Freiheit abtrünnig macht, für den bleibt die Szene wie einige andere: seltsam allgemein. An anderen Stellen in diesen beeindruckend getanzten aber von Längen durchzogenen sechzig Minuten wiederum wird „BurkaBondage“ die Klischeehaftigkeit, mit der der Titel ganz bewusst spielt, nicht ganz los. Das mag daran liegen, dass wer die subtileren Anspielungen auf Aspekte der beiden Kulturen nicht erkennt, immer wieder auf die erotische Komponente des Fesselns oder aber Allgemeinplätze zu Macht und Abhängigkeit zurückgeworfen wird. Womit man letztlich bei einer Frage wäre, die auch Helena Waldmann thematisiert: Wie schwierig es ist, sich vom eigenen, in diesem Fall dem europäischen, Blick zu lösen. Diesem jedenfalls geht in „BurkaBondage“ – trotz so vieler gut funktionierender Elemente, trotz der politischen Aktualität und des wichtigen Themas – auf dem weiten Feld zwischen Afghanistan und Japan immer wieder die Dringlichkeit, das konkrete Hier und Jetzt verloren.
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