zum Hauptinhalt

Kultur: Jeder Stoff hat seine Zeit

Jetzt ist Zeit für „Sommer vorm Balkon“: Die Produzenten von X-Filme über Wagnis und Zuversicht

Stand:

Der Produzent steht für das Geld, der Regisseur für die Kunst. So das Laien-ABC. „Das ist Unfug, beide stehen für das große Gemeinsame: für den Film“, sagt Stefan Arndt, Gründer und Gesellschafter der X-Filme GmbH. „Ein Regisseur, der sich nicht für Geld interessiert, kann keine gute Kunst machen, und ein Produzent, der nicht versteht, was der Regisseur und der Markt will, bleibt ebenfalls auf der Strecke“, so seine Erfahrung.

Gerade wieder schickt der Produzent aus Potsdam eines seiner Ziehkinder in die Welt: „Sommer vorm Balkon“, einen Andreas Dresen-Film, der ab Donnerstag in die Kinos kommt. Diese Geschichte hat einen langen Weg und eine große Zuversicht hinter sich. Denn nichts sei so wichtig, wie der Glaube an das Produkt.

„Ursprünglich hatte Autor Wolfgang Kohlhaase eine Geschichte über zwei Frauen am Prenzlauer Berg, eine davon Alkoholikerin, in der DDR-Zeit angesiedelt. Irgendwann wurde klar, dass so eine Ostgeschichte keinen mehr hinterm Ofen hervorlocken würde.“ Also bewegte sich der Stoff über einen langen Prozess in die Jetzt-Zeit hinein und erzählt nunmehr von zwei Frauen, die nicht gerade auf der Sonnenseite des Kapitalismus stehen. Aus der alkoholkranken wurde eine alkoholgefährdete Frau, was neben der Gefahr auch eine Chance einschließe.

Der Autodidakt Stefan Arndt entwickelte sein Gespür für gute Filme bereits, als er 1984 das Berliner „Sputnik“-Kollektiv gründete. Der geborene Münchner zeigte dort Filme aus Ost und West. „Wir machten ein sehr spezielles Kino. Doch irgendwann setzte die Zeit ein, wo das Interesse des Publikums schwand und der deutsche Film am Boden lag. Nach acht Jahren sagten wir uns, das kann nicht alles gewesen sein.“ Gemeinsam mit den Regisseuren Dani Levy, Tom Tykwer und Wolfgang Becker gründete er die X-Filme GmbH. Das Quartett war sich sicher, dass es eine Art von anspruchsvollen Filmen geben müsse, die auch beim Publikum Erfolg hat. Und so fing es ganz klein an: Mit einem Schreibtisch und einem geliehenen Telefon. Das war vor zwölf Jahren: Inzwischen ist das Team auf 42 Mitarbeiter angewachsen. „Wir haben eine eigene Animationsabteilung, ein Kreativbüro, einen Verleih.“

Dazu gestoßen ist auch Manuela Stehr, die über den Umweg der Juristerei ihre Liebe zum Film entdeckte. „Schon in der Schulzeit arbeitete ich als Komparsin und war fasziniert von dieser so anderen Welt. Aber erst als ich in eine WG mit lauter Filmemachern zog, hatte die Leidenschaft auch berufliche Konsequenzen. Mein Referendariat als Jura-Studentin machte ich bei der Filmförderanstalt, und noch vor dem zweiten Examen hatte ich meinen ersten Film produziert: ,Va Banque’ mit Winfried Glatzeder in der Hauptrolle.“ 1987 gründete sie, „sehr naiv und wagemutig“, ihre erste Produktionsfirma. Drei Jahre später ging sie zur Filmstiftung nach Nordrhein-Westfalen und bekam über „wahnsinnig viele Projekte“ einen Überblick. Mit diesem Wissen zog sie wieder nach Berlin und landete bei X-Filme. Und schließlich auch in den Armen Stefan Arndts. Beide brennen für ihre Vorhaben, von denen sie mit Feuereifer zu erzählen wissen.

„Good bye, Lenin“ gehört zu ihren größten Erfolgen. „Dabei haben nur sehr wenige an den Film geglaubt. Dennoch nahmen wir einen Kredit auf, ohne zu wissen, ob er die Firma in den Ruin führt. Auch zu einem solchen Risiko muss man hin und wieder bereit sein. Das kann man sich aber nur ab einer bestimmten Größe leisten, wenn man es mit anderen Produktionen wieder ausgleichen kann“, so Stehr. Ein historischer Film sei nun mal teuer, wenn er an originalen Schauplätzen gedreht wird. „Und die Genauigkeit war Regisseur Wolfgang Becker äußerst wichtig. Ohne, dass er dabei die große Ostalgie-Welle beabsichtigt oder erwartet hätte. Für uns sollte der Film der Frage nachspüren: Was würdest du für deine Mutter tun, wenn sie im Sterben liegt?“ Auch ohne DDR-Tunnel-Blick kam der Film gut an. „Im Ausland war das Wurscht, dort sah man nur die lustigen Ideen. Am Ende standen 6,5 Millionen Zuschauer zu Buche. Das passiert einem nicht oft im Leben.“ Herausgekommen ist er zur gleichen Zeit wie „Amelie“, der ähnlichen Erfolg einfuhr. „Nur, dass er vier Mal so viel kostete.“

Ein Flop in der Besucherstatistik war hingegen „Lautlos“. Ein Thriller von Mennan Yapo. Offensichtlich traut man Horror, Science-Fiction, romantische Komödie und eben Thriller nur den Amerikanern zu. „Dennoch glaube ich, dass dieses Genre in Deutschland ebenfalls funktionieren kann“, sagt Stefan Arndt, der auch Vorstandsvorsitzender der deutschen Filmakademie ist. „Lautlos“ erhielt Preise, auch wenn das große Publikum ihn nicht sehen wollte. Der Regisseur wurde indes sofort nach Hollywood gerufen und macht nun dort Filme. „Das ist das Tragische.“

Auch vor „Alles auf Zucker“ habe sie alle Welt gewarnt: „Um Gottes Willen, du kannst doch in Deutschland keine jüdische Komödie drehen. Oder wer will schon Filme über Minderheiten sehen.“ Manuela Stehr wollte. Überhaupt sei sie die Handfestere von beiden. Und Durchsetzungskraft sei in dem Geschäft auch vonnöten. Es gelte schließlich, an vielen Fronten zu kämpfen. „Der Produzent ist die Anlaufstelle für einen Stoff, der ihm entweder selbst zufliegt oder aber von Autoren oder Regisseuren an ihn heran getragen wird. Am Ende sagt er: Das Thema finde ich interessant und versucht elegant, den Autor oder Regisseur auf den rechten Weg zu bringen.“ Auch während des Drehens stehe er zur Seite. Bei der Finanzierung sei er hingegen mutterseelenallein. Er fährt durch die Gegend, sucht Verleiher und Förderer, immer überzeugt, dass der Stoff, die Regie und die Besetzung das allerbeste seien. Auch bei Personalfragen redet er mit. „Er schafft das Fundament für die Kreativität. Beim Drehen läuft dann die Maschine, da kann man sich nicht mehr viel ausdenken.“ Jetzt ist der Moderator gefragt. Denn auch für alle Konflikte, die es beim Drehen gibt, sei er zuständig. „Man ist angehalten, zu schlichten und für gute Laune zu sorgen. Zum Glück gibt es die Gnade des Vergessens: Am Ende steht der Film als das da, was ihn ausmacht: als Kulturgut.“

Im Schnitt dauert es etwa drei Jahre von der Idee bis zur Filmpremiere. Die X-Film-Produktion „Der Rote Kakadu“ von Dominik Graf, der zur Berlinale uraufgeführt wird, brauchte hingegen zehn Jahre. „Er spielt drei Monate vor Mauerbau. Das hat nach der Wende erst einmal niemanden interessiert. Jeder Stoff hat seine Zeit“, so Manuela Stehr.

Sie hat sich gerade auch die Remake–Rechte für einen Film gesichert, der in Schweden sehr erfolgreich lief. „Er beschreibt Weihnachten in dem nordischen Land. Wir wollen daraus Weihnachten in Deutschland machen. Gern würde ich ihn komplett im Studio Babelsberg drehen, denn dort ist wieder Musik drin, die Depression verschwunden. Die Miete ist zwar sehr teuer, aber man kann mehr gestalten als an Originalschauplätzen. Sicher: In Ungarn oder Tschechien wäre die Miete preisgünstiger. Aber wir wollen die Fahne hier hoch halten.“

Beide hoffen bald auch auf politischen Rückenwind. „Bis Mitte 2006 soll laut Koalitionsvertrag ein Modell entwickelt werden, das Privatleuten, die in Filme investieren, Steuervorteile bringt. Das käme den Filmen zugute und würde zudem Arbeitsplätze schaffen.“ Stefan Arndt sieht den deutschen Film im Aufwind. „Derzeit ist die amerikanische Politik nicht so gut angesehen und auch die Filme von dort sind nicht die Renner. Der Zuschauer fragt sich schon, will ich den mittleren Schwachsinn unterstützen oder gucke ich genauer hin und traue mich auch, in einen deutschen oder europäischen Film zu gehen. Bei manchen passiert das sicher unterschwellig.“

Bei aller Zuversicht bleibt natürlich immer das große Bangen: „Denn jeden Donnerstag steht man mit 20 Konkurrenten im Rennen und die Zuschauer stimmen mit den Beinen ab.“

So auch über „Sommer vorm Balkon“, der sich anders als „King Kong“ keine Fernsehwerbung leisten kann. Hier zählen Qualität und ein engagiertes Team, das den Film in den Kinos persönlich präsentiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })