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Kultur: Jenseits von Befehl und Gehorsam

Zum Jahrestag des 20. Juli 1944: Militärgeschichtliche Forschung fragt nach Bedeutung des Widerstands

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Zum Jahrestag des 20. Juli 1944: Militärgeschichtliche Forschung fragt nach Bedeutung des Widerstands Von Jan Kixmüller Wenn sich in diesem Jahr das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 zum 60. Mal jährt, ist das Interesse am deutschen Widerstand gegen das NS-Regime so groß wie selten zuvor. Zentral bei der Tagung zum 20. Juli des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam (MGFA) in dieser Woche war dann auch die Frage nach einer Wende in der Wahrnehmung des 20. Juli. Eine solche machen die Historiker in den vergangenen Jahren tatsächlich aus. Vorwürfe aus der Vergangenheit, der Kreis um Stauffenberg sei in Funktion seiner militärischen Positionen selbst an Kriegsverbrechen mitschuldig geworden, sind heute kaum noch ein Thema. Geschweige denn die Anschuldigung, die Offiziere seien zu Verrätern geworden. Nun interessiere vielmehr die Grenze zwischen Befehl und Gehorsam, so der Historiker Peter Steinbach. Die Offiziere des Kreisauer Kreises seien keine Engel gewesen, doch der langen, auch qualvollen Entwicklung der Hitler-Attentäter sollte Beachtung geschenkt werden. „In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hatten sie eine Position erreicht, in der sie nicht wackelten“, würdigte Steinbach die Attentäter. Die Erkenntnis ihrer Mitschuld wurde neben der politischen Sorge ums Vaterland den Männern des 20. Juli zur Motivation. Die Bedeutung dieses Bewusstseinsprozesses wird wohl am ehesten deutlich, wenn man den Worten des stellvertretenden Generalinspekteurs der Bundeswehr, Generalleutnant Hans-Heinrich Dieter folgt. Er umriss, in welchem Maße die Widerständler des 20. Juli die heutigen Traditionslinien der Bundeswehr mit formen. „Die Offiziere, die sich nicht wertneutral auf ihr militärisches Handwerk beschränkten, sind uns zum Vorbild geworden“, sagte der Generalleutnant vor Nachfahren der Widerstandskämpfer. Auch heute gäbe es eine moralische Verpflichtung jenseits von Befehl und Gehorsam. Die historische Bildung in der Bundeswehr müsse den Rekruten vermitteln, dass ihr Handeln sich an unvergänglichen Werten wie den Menscherechten aber auch dem eigenen Gewissen orientieren müsse. Die Grenzen des Gehorsams seien heute erreicht, wenn Befehle die Menschenwürde missachten oder zu Straftaten führen würden. „Hier ist das Gewissen die letzte Instanz“, sagte der Generalleutnant. Klare Worte aus dem Mund eines Militärs, der auch kein Problem damit hat, den Krieg der Nazis im Osten als ein Verbrechen zu bezeichnen. Die Erkenntnis der eigenen Schuld war es, die auch den Offizier Wilm Hosenfeld zur Abkehr vom Nationalsozialismus brachte. Aus den Briefen und Tagebüchern, die in Edition des MGFA dieser Tage erschienen sind (PNN berichteten), spricht ein politischer Lernprozess, der vom eher naiven Mitläufer zur inneren Emigration führten. Hosenfeld versuchte Kraft seiner militärischen Position in Polen zu retten, wen er nur konnte. Dem gläubigen Katholiken war klar geworden, das die „entsetzliche Blutschuld an der Ermordung der jüdischen Bewohner“ wie auch die anderen Kriegsverbrechen auf die Rechnung Deutschlands ging. Hosenfeld eignet sich sicherlich nicht als Held. Vielleicht noch als stiller Held, der seinen Unmut Tagebüchern und Briefen anvertraute. Doch sein Handeln wirft die Frage auf, wieso unter den Militärs nur so wenige den menschenverachtenden Charakter des Eroberungskrieges erkannten – und den Opfern halfen.

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