Kultur: Juwelen einer alten Kultur
Nizza Thobi und Ensemble musizieren morgen jiddische und hebräische Lieder gegen das Vergessen
Stand:
Ob sie in Potsdam Angst haben müsse, weil sie Jüdin sei. So fragt Nizza Thobi am Telefon in München. Ein Bekannter warnte sie, im Brandenburgischen würden Rechtsextremisten zu Hause sein. Mit Zahlen konnte der Interviewer nicht aufwarten, auch war es ihm nicht gegeben, Bedenken zu zerstreuen, dass es in Potsdam Menschen mit rechtsextremistischen Gedankengut gebe, nicht anders als beispielsweise in München.
Die resolute Sängerin Nizza Thobi freut sich dennoch auf ihren Auftritt am morgigen Freitag im Alten Rathaus in Potsdam. Sie will, wie sie selbst sagt mit Liedern gegen Fremdenfeindlichkeit und speziell gegen antsemitische Tendenzen in unserer Gesellschaft ansingen. „Da suchen wir in der Realität oder in der Geschichte nach Stimmen, die uns zu diesem Thema etwas Kompetentes zu sagen haben“, so die Künstlerin, die seit drei Jahrzehnten in Deutschland lebt.
In diesen Wochen unternimmt Nizza Thobi mit ihrem Instrumentalensemble eine mehrwöchige Tournee durch ostdeutsche Städte. In Erfurt, Plauen, Leipzig, Magdeburg, Chemnitz, Rostock, Frankfurt an der Oder, in Halle und in Dresden gastiert sie mit ihrem Programm „Jiddisch is gor nischt asoj schwer – von Wilna nach Jerusalem“. „Alle Gedichte und Lieder, die ich rezitiere und singe, sind klassische Juwelen, ernste, traurige, melancholische und heitere. Sie stammen aus mehreren Jahrhunderten und aus den verschiedensten Ecken Europas“, erzählt Nizza Thobi. „Ich finde, es sind sehr geistvolle Zeugnisse einer untergegangenen europäischen Kultur.“ Die Sängerin, die sich mit der Gitarre auch selbst begleitet, wird vertonte Gedichte unter anderen von Chaim Nachman Bialik, Jehuda Amichai, Pinchas Sadeh, Itzik Manger zu Gehör bringen. „Das sind europäische Autoren, die in Jiddisch und Hebräisch schrieben, zumeist als Zionisten nach Israel gingen, auch schon vor der nationalsozialistischen Verfolgung.“
Lieder, die in großer Bedrängnis geschrieben wurden, unter dem Martyrium der nationalsozialistischen Gewalt, ob in Ghettos in Wilna oder in Warschau gehören ebenfalls zum Konzert. Titel wie „Verriegelt ist meine Tür“, oder „Und ein Knabe wird sie führen“ erzählen Geschichten aus dieser unheilvollen Zeit.
Nizza Thobi hat in ihrem Programm, das es nun auch als CD gibt, das „Lied der Lieder“ aus dem Mauthausen-Zyklus von Mikis Theodorakis aufgenommen. Dieser Zyklus wurde 1995 unter der Leitung von Theodorakis in der Gedenkstätte Mauthausen uraufgeführt. Der Komponist dirigierte selbst das Konzert. „Am morgigen Abend singe ich auch Lieder, die in den dreißiger und fünfziger Jahre in Amerika geschrieben und weltberühmt wurden, beispielsweise ,Wünscht mir Massel Tow“ oder ,Zu spät“.“ Der Münchner Pianist Peter Wegele hat für die Lieder die Arrangements geschrieben. Während des Konzerts im Alten Rathaus werden auf der Leinwand projizierte Diabilder der Dichter und Komponisten der von Nizza Thobi interpretierten Lieder zu sehen sein.
Geboren wurde die Sängerin in Jerusalem, am Fuße des Ölbergs. Sie studierte klassische Gitarre in ihrer Heimatstadt und später Gesang in München. In Bayerns Hauptstadt hat sie längst ihre Arbeitsmitte gefunden. Sie gehört dort zu den bekannten Persönlichkeiten. Neben den Konzerten hat sie auch eine hoch gelobte „Jüdische Kultursendung“ bei Radio Lora (92,4).
Morgen macht sie sich zu ihrem Konzert nach Potsdam auf. Bevor das Interview seinem Ende entgegen geht, fragt Nizza Thobi, ob auch der Saal im Alten Rathaus die richtige Intimität für ihre Lieder hat, wo man anschließend gut essen gehen könne.
Nizza Thobi und Ensemble, 24. November, 20 Uhr, Altes Rathaus
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: