Kultur: Kafkaeskes Pilcher- Panoptikum Julia Franck mit neuem Roman im HOT
Gespiegelt synchron besetzten beide Frauen die schwarzen Ledersessel, im Neunzig-Grad-Winkel zueinander gestellt, lehnen die fast baugleichen Handtaschen gegen die Seiten ihrer Sitzmöbel, schlagen Beine übereinander und stützen den Kopf in die äußere Hand. Julia Franck, mit deren Lesung der „Stadt-Land-Buch-Lesemarathon“ des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels eröffnet wird, hat es nach artigen Begrüßungs- und Eröffnungsreden von vermutlich wichtigen Persönlichkeiten, die es leider versäumt haben, sich dem Publikum vorzustellen, auf die Bühne des Hans Otto Theaters geschafft.
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Gespiegelt synchron besetzten beide Frauen die schwarzen Ledersessel, im Neunzig-Grad-Winkel zueinander gestellt, lehnen die fast baugleichen Handtaschen gegen die Seiten ihrer Sitzmöbel, schlagen Beine übereinander und stützen den Kopf in die äußere Hand. Julia Franck, mit deren Lesung der „Stadt-Land-Buch-Lesemarathon“ des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels eröffnet wird, hat es nach artigen Begrüßungs- und Eröffnungsreden von vermutlich wichtigen Persönlichkeiten, die es leider versäumt haben, sich dem Publikum vorzustellen, auf die Bühne des Hans Otto Theaters geschafft. Neben ihr sitzt Literaturkritikerin Meike Fessmann. Eben noch hat sie den Gästen im Saal, der zu knapp einem Drittel gefüllt ist, eine grobe Inhaltsangabe des neuen Romans „Rücken an Rücken“ der jungen Schriftstellerin Frank geliefert: ein dramaturgischer Abriss, der einen schwindlig macht.
Julia Franck, der 1970 in Ostberlin geborenen Literaturpreisgewinnerin, eilt ihr Ruf voraus. So oder so. Auch die bepreiste „Mittagsfrau“ war nicht unumstritten, nun liest und spricht die Autorin mit betörendem Selbstbewusstsein, schiebt die Worte in den Raum, verstellt die Stimmen, verleiht den Charakteren die Dramatik, die sie ihnen zugedacht hat. Eine Mutter, die im Buch nicht so, sondern bei ihrem Namen Käthe genannt wird, kaputt und innerlich abgestorben vom Überleben im Nazideutschland, foltert ihre vier Kinder durch die Verweigerung jeglicher Gefühlsnähe. Das geht so weit, dass zwei der Kinder bis zur letzten der 380 Seiten namenlos „die Zwillinge“ bleiben. Es gibt kein Miteinander in dieser Familie, nur ein autistisches Nebeneinander. Die Leserperspektive ist wie ein Blick in ein beengtes Zoogehege, in dem die Bewohner die Wände entlangstreifen. Stilmittel einer kafkaesken Rosamunde Pilcher, ahnt man die Katastrophe, lange bevor sie eintritt. Obwohl diese Katastrophe von Anbeginn fast überall präsent ist, keine Figur, die nicht etwas Krankhaftes, Verstörtes in sich trägt. Von der erschreckenden Enge und Nähe in der Geschwisterbeziehung bis zum fehlenden Unrechtsbewusstsein in Stiefvater und Untermieter. Selbst Marie, die in dem jungen Mann Thomas eine Ahnung von Glück aufkommen lässt, ist schwach und labil, nährt sich aus der Liebe zu ihrem Kind. Dazu die volle Packung platter Klischees, eine unaufgearbeitete Nazizeit, DDR-Wochenkrippen, egozentrisches Emanzentum, sexueller Missbrauch schleimiger Stasionkel und am Ende der Mauerbau, der dem Buch Aktualität und eine deutsch-deutsche Legitimität verleihen soll.
Es ist gut, dass es im Anschluss das Gespräch gibt. Die arg konstruierte Geschichte birgt viel Biografisches, zwar entfremdet, aber dann doch nicht so sehr, dass es nicht auffällt. So ist sie selbst ein Zwilling, wuchs, wie jetzt ihre eigenen Kinder, ohne Vater auf. Der Suizid eines jungen Onkels als märchenhafte Drohkulisse, dessen Gedicht-Nachlass Franck im Roman unterbringt. Was wäre, fragt man sich, wüsste man nichts über das Leben der Schreiberin? Irgendwie wirkt die biografische Nähe wie zwanghaft mildernde Umstände. Was andere auf der Psychocouch dem antiseptischem Wind preisgeben, steht hier schwarz auf weiß, eine Geschichte, die, weil es sie nun mal gibt, Gehör verlangt. Man fühlt sich plötzlich seltsam verantwortlich. Ist zum Mitwisser geworden. Zum unfreiwilligen Voyeur.
Steffi Pyanoe
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