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Kultur: Kaiserfamilie ins Bild gesetzt

Kastellan Jörg Kirschstein referierte über „Hohenzollernphotographie“

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Ein Foto zeigt den vierten Sohn des letzten deutschen Kaisers, August Wilhelm (1887 bis 1949), vor einer Staffelei im Garten der Villa Liegnitz im Park Sanssouci, wo er von 1908 bis 1945 wohnte. Ein anderes bildet ihn als Nazi-Propagandisten im Berliner Sportpalast ab. Ein drittes Pressefoto zeigt einen scheinbar uralten Greis, den erst 62-jährigen Hohenzollernprinzen, 1948 vor dem Militärgericht in Ludwigslust. Die Ähnlichkeit mit dem alten Friedrich II. ist frappierend.

Diese und andere Fotodokumente zeigte Jörg Kirschstein, in seiner Haupttätigkeit Kastellan im Schloss Oranienburg, in einem gut besuchten Vortrag im Haus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte. „Ich will Ihnen zeigen, wie sich die Hohenzollern ins Bild setzten und wie sie dabei auch manchmal manipulierten“, kündigte Kirschstein an. Sein Vortrag im Rahmen der noch bis 11. Februar gezeigten Fotoausstellung „Auslöser Potsdam“ machte deutlich, dass sich die Herrscherfamilie von der Erfindung der Fotografie an dieses neuen Mediums bediente, um sich gegenüber den Untertanen ins rechte Licht zu rücken. Letzteres war nach der Erfindung der Fotografie durch den französischen Maler Louis Jacques Mandé Daguerre im wahrsten Sinne der Fall: Lange Sitzungen bei bestem Licht waren erforderlich, um das eigene Konterfei auf einer einzigen Silberplatte abzubilden. Dabei entstanden seltene Kunstwerke, heute so teuer gehandelt wie wertvolle Gemälde. So ist in der Ausstellung im Haus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte als Leihgabe eine farbige Stereo-Daguerreotypie Wilhelms I. aus dem Jahre 1859 zu sehen. Das Bild, das sich auch heute noch plastisch darstellen lässt, zeigt den Kaiser am Schloss Babelsberg. Das kostbare Stück befindet sich in einem Holzkästchen samt einer Stereobrille mit dem Linsenabstand des menschlichen Auges: 62 Millimeter

Kirschstein erzählt, dass Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1847 den ersten Hoffotografen, oder nach alter Schreibweise „Hofphotographen“, ernannte und den Kindern Fotografieunterricht erteilen ließ.

Der wahre Boom kam durch die Erfindung der Negativtechnik und die Möglichkeit, die Kaiserfamilie in Visitenkartengröße unter die Leute zu bringen. Einen weiteren Schub gab es, als es ab 1889 gelang, Fotos in Zeitungen abzudrucken. Wilhelm I. bestimmte die Motive, welche „die für das Volk arbeitenden Herrscher“ darstellen sollten. Um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert arbeiteten 20 Ateliers für den Hof. Das Hofmarschallamt bestimmte, welche Bilder vervielfältigt werden durften und welche nicht. Selbst im holländischen Exil Wilhelms II. existierte diese Zensurstelle, obwohl es kaum noch etwas zu regulieren gab. Zur Kaiserzeit wurden mittels der inzwischen erfundenen maschinellen Kopierverfahren Postkarten in Auflagen von bis zu 100000 Stück produziert. Zu verdienen gab es daran kaum etwas. Hundert Postkarten waren für neun Mark zu haben.

Die Nazis verboten 1939 durch einen Erlass die „Fürstenbilder“. Schon kurz nach dem Machtantritt der Faschisten überklebte die SA ausgehängte Bilder der Kaiserfamilie: „Fort mit den Bildern der Reaktion“. Im ersten Weltkrieg waren Hohenzollern-Bildchen an die Soldaten verteilt worden, um deren Kampfmoral zu stärken.

Jörg Kirschstein zeigte auf eindrucksvolle Weise auf, was ein Foto trotz aller künstlerischer Erhöhungsversuche und manipulatorischer Verfahren immer zuerst bleibt: ein Dokument. Und so dürften die 160 Alben und 35000 Fotoplatten, die im Archiv im holländischen Doorn lagern, weniger die Herrlichkeit des Hohenzollernglanzes, wie von den Auftraggebern beabsichtigt, darstellen, sondern die Überlebtheit eines Machtanspruchs. Zufällig gibt es einen zeitlichen Zusammenhang dieses Zusammenbruchs mit der Erfindungs- und Entwicklungsgeschichte des Mediums Fotografie. Günter Schenke

Günter Schenke

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