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Wärme strahlten bei der Eröffnung des Festivals die Gäste des Indien-Fokus aus, hier Gloriana Selvanathan von der Jury.

© Manfred Thomas

Von Jan Kixmüller: Kalt erwischt

Das Studentenfilmfestival Sehsüchte gibt sich in diesem Jahr in kühles Weiß gehüllt

Stand:

Es wird erst einmal viel gekotzt. Das kennt man von den Finnen ja, viel Wodka und Bier und diese gewisse Perspektivlosigkeit. Sami und Mira könnten ein schönes Paar sein, doch der einzige Kuss von Mira schmeckt nach Erbrochenem. Am Ende hat sie ein anderer geschwängert. Zwei junge Menschen in den Vororten von Helsinki, die nicht zusammenkommen, Amour fou, eine schöne Geschichte, die überall und immer wieder passiert, Regisseur Antii Heikki Pesonen erzählt sie in „Mentally Fat“. Doch zum Eröffnungsabend des Studentenfilmfestes „Sehsüchte“ mag dieser unangenehme Beigeschmack und die Leere, die diesem Kuss folgt, nicht so recht passen.

Alles hatte sehr routiniert begonnen. Die Studierenden der Filmhochschule waren so schnell mit ihrem Eröffnungsprogramm, dass sogar ein alter Hase wie HFF-Chef Dieter Wiedemann beinahe zu spät kam. Und dann seine schon legendären drei Wünsche auf einen eindampfte: eine Filmprämie statt der Abwrackprämie. Was ist los, geht es der Filmhochschule zu gut? Nein, die Verknappung war nur der Dramaturgie geschuldet, passte aber doch zu diesem Gefühl der Leere, das der sehr glatte Ablauf, das nicht ganz volle Kino und die merkwürdigen Starter-Filme hinterließen.

Da geht ein Junge im Film „Between“ (Tim Bollinger) an der Hand seiner Mutter durch einen U-Bahnhof, verfolgt von den Blicken merkwürdiger Gestalten in Schutzuniformen – Gift, Umweltzerstörung, Endzeitstimmung. Da jagen die Briten in „Nutkin’s last Stand“ (Nicholas Berger) graue Eichhörnchen, weil diese die Population der roten Eichhörnchen verdrängen. Sie lassen sie erschießen, essen ihr exzellentes Fleisch in Eierkuchen gewickelt – auch hier irgendwie eine kaputte Welt.

Völlig hinüber dann der merkwürdige Kauz in „Welgünzer“ von Bradford Schmidt. Er bastelt sich eine Zeitmaschine, um seiner zerkrachten Existenz zu entfliehen, um sich in der Zukunft umzubringen, vielleicht auch, um in der Vergangenheit seine zerschundene Ehe zu kitten. Am Ende war es vielleicht nur ein Tagtraum, man weiß es nicht. Schließlich sah man doch noch eine ganz hübsche Geschichte in dem indischen Film „Friend“ (V. Rohin), der heute im Indien-Fokus läuft. Doch wieso die beide Schuljungs von Kontrahenten zu Freunden wurden, erschloss sich dem europäischen Zuschauer kaum.

Man blieb recht ratlos zurück im Kinosessel, tastete sich dann aus dem Thalia-Foyer heraus, wunderte sich, dass es tatsächlich noch hell war und suchte seinen Weg zur Gala ins HFF-Gebäude. Dass der riesige Stahl-Glas-Betonbunker seine ihm eigene Kühle ausstrahlt, ist ja hinlänglich bekannt. Das Sehsüchte-Team steigerte die Kälte aber noch, alles war weiß, das Personal trug Schneeflocken auf den Köpfen, es wurde Eiskonfekt gereicht. Da war es wieder, das Gefühl der Leere, auch wenn sich der schier endlose Raum langsam mit Gästen füllte.

Das Wasser kam aus Österreich, das Bier aus Tschechien. Klar, wir leben in einer globalisierten Welt. Auch, dass die Getränke nur bis 22 Uhr frei waren, ging in Ordnung, war aber auch ein Zeichen. „Die Krise. Sie kommt“, raunte jemand am Tresen. Ein namenloses Filmteam stieß mit Wodka an, doppelt, pur, Tanz auf dem Vulkan. Weiter im Hintergrund dann ein PR-Stand einer koreanischen Handyfirma. Schließlich muss es ja weitergehen, Promotion gehört heute dazu, das Geld bleibt die heilige Kuh.

Und das nicht nur bei uns. Der indische Filmemacher Manicam Narayanan, der als Jury-Mitglied nach Potsdam gekommen ist, hatte auf die Frage nach den Unterschieden zwischen dem europäischen und dem indischen Film weit ausgeholt. Um zum Schluss zu kommen, dass heute die größte Filmindustrie der Welt, die indische nämlich, allein vom Geld regiert werde. Kunst und Emotionen würden allenfalls bei Filmstudenten noch eine Rolle spielen. Der indische Mainstream setze heute auf Action, Tanz und Gesang.

Immerhin setzten die indischen Filmemacher einen Kontrapunkt zum Kälte-Motto. Sie strahlten ihre eigene Wärme aus. Und die Leere des HFF-Baus wich zu vorgerückter Stunde einer ausgelassen feiernden Menschenmenge. Der Abend endete wie er begann. Mit viel Wodka und Bier.

Sehsüchte noch bis 26. April. Fokus-Indien, heute ab 16 Uhr im Thalia-Kino am S-Bahnhof Babelsberg.

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