
© A. Klaer
Diskussion im Rechenzentrum Potsdam: Kann man von der Kunst leben?
Künstler und Kreative diskutierten im Rechenzentrum über Geld, Gewinne und Umsonstkultur.
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Am Anfang des Abends stand die Erinnerung an einen Literaten, einen viel zu früh Verstorbenen. Der mit der Sprache so wunderbar leicht arbeiten konnte, dass es gar nicht nach Arbeit aussah. Wolfgang Herrndorf, Autor des Romans „tschick“, tauchte auf einer Lesung mit anschließender Diskussion am Donnerstagabend im ehemaligen Potsdamer Rechenzentrum noch einmal vor dem geistigen Auge der Zuhörer auf.
Herrndorf ließ sich vor rund zehn Jahren zu seiner wirtschaftlichen Situation als Schriftsteller befragen. Der Berliner Literaturagent Jörn Morisse las aus jenem Interview. Zu jener Zeit war der 2013 verstorbene Schriftsteller noch längst nicht so bekannt wie später, als ihm mit „tschick“ der Durchbruch gelang. Das beste Einkommen, so Herrndorf in dem damaligen Gespräch, habe er nicht als Autor, sondern mit einem Job bei der Post gehabt. Ob es für ihn okay sei, deutlich unterdurchschnittlich zu verdienen, wollte Morisse von Herrndorf wissen, der ihm die ernüchternde Antwort gab: „Da habe ich ja keine Wahl.“ Nachzulesen ist das Interview in Morisses 2007 erschienenem Buch „Wovon lebst du eigentlich?“.
Und genau um diese Frage ging es am Donnerstagabend. Die Potsdamer Autorin und Kulturredakteurin Sophie Sumburane bekannte gleich zu Anfang: „Mein Mann verdient das Geld bei uns.“ Das eigene Einkommen würde nicht reichen, sagte die junge Autorin auf der Veranstaltung, die im Rahmen der Reihe „Kreativwirtschaft Konkret“ stattfand. Gleichwohl empfinde sie ihre wirtschaftliche Lage keinesfalls als prekär. Im Gegenteil, sie sei sogar privilegiert, denn, so Sumburane, sie habe immerhin die Möglichkeit, sich mit ihrem Studienabschluss in Germanistik und Afrikanistik auf Stellen zu bewerben und ihrer Autorentätigkeit Adieu zu sagen. Sumburane kritisierte, der Kunstbetrieb sei nicht kinderfreundlich. Einladungen zu Aufenthalten als Autorin in anderen Städten habe sie absagen müssen, weil es dort keine Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder gegeben hätte. Das Kinderkriegen sei in der Kulturszene eigentlich nicht vorgesehen.
Nicht nur für Sumburane, freilich auch für viele andere Künstler ist es schwierig, mit ihrer kreativen Arbeit ein passables Einkommen zu erzielen. Einen radikalen Vorschlag zur Verbesserung dieser Situation hatte Anja Engel, Kulturmanagerin des Rechenzentrums, parat. Möglichst viele Künstler müssten sich zusammentun, so Engels Idee, und einfach nichts mehr für zu wenig Geld machen. Auch in Potsdam sei die Umsonstkultur, wie Engel es nennt, besonders ausgeprägt.
Stefan Pietryga, bildender Künstler mit Atelier im Rechenzentrum, meinte, Künstler müssten vor allem selbst aktiv werden, um ihre Werke mit Gewinn unter das Volk zu bringen. Eine seiner ersten Ausstellungen habe er unter der Jacke zum Museum getragen und dort einfach angeboten. „Du bist derjenige, der es machen muss“, sagte Pietryga. In dieselbe Richtung argumentierte Birgit-Katharine Seemann, Leiterin des Fachbereichs Kultur und Museum der Stadt Potsdam. Künstlern müssten mehr Begegnungen mit der Wirtschaft ermöglicht werden, so ihr Appell.
Einen ungeschönten, quasi sezierenden Blick auf die eigene Lebenssituation empfahl Literaturagent Jörn Morisse allen Künstlern. Wenn es wirtschaftlich nicht klappt – „das muss man dann schon irgendwann einsehen“, sagte der Berliner. Wolfgang Herrndorf schließt seinen Roman „tschick“ übrigens mit folgenden Sätzen: „Man kann zwar nicht ewig die Luft anhalten. Aber doch ziemlich lange.“ Holger Catenhusen
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