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Kultur: Kein Schauprozess aus taktischen Gründen

Hermann Weber referierte über politische Prozesse in Stalin-Ära

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Hermann Weber referierte über politische Prozesse in Stalin-Ära Als der deutsche Emigrant Lion Feuchtwanger in die junge Sowjetunion reist, ist er begeistert. In „Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde“ schildert er sein ungebrochenes Einverständnis mit dem Staat, der den Kommunismus aufbauen wollte. Feuchtwanger wohnt auch einem der ersten stalinistischen Schauprozesse bei und glaubt, was ihm und der Welt dort vorgespielt werden sollte. Hohe Kader der Partei, Menschen, die maßgeblich an der Revolution und an dem Aufbau der Sowjetunion beteiligt waren, gestanden plötzlich, Staatsfeinde zu sein. Die meisten von ihnen ließ Stalin hinrichten. Der Historiker Professor Hermann Weber ist nachhaltig entsetzt über die Naivität, wie Generationen von Intellektuellen diese Art der Rechtsprechung unhinterfragt akzeptieren hätten. Im Rahmen der Reihe „Das Jahr 1953“ sprach der „Nestor der Kommunismusforschung“ am Donnerstag vor dicht besetzten Stuhlreihen in der Landeszentrale für Politische Bildung über die politischen Schauprozesse in den sozialistischen Ländern. Nach Webers eingrenzender Definition werden in Schauprozessen führende Kommunisten von anderen Kommunisten lediglich auf Grund von Geständnissen ohne weitere Beweise verurteilt. Sie seien Kennzeichen stalinistischer Diktaturen. Mittels der Moskauer Tribunale von 1936 bis 1938 entledigte sich Stalin der „Leninschen Garde“ und liquidierte eine potentielle Opposition gleich mit. Sein absoluter Machtanspruch erklärte jeden, der sich gegen die Doktrin Stalins stellte, zum Feind. Nach dem zweitem Weltkrieg kam es auch in anderen sozialistischen Staaten zu solchen Schauprozessen, der größte war der sogenannte Slanski-Prozeß 1952 in der CSR. Die Mehrzahl der führenden tschechoslowakischen Kommunisten wurde umgebracht. Weber weist daraufhin, dass es in der Natur dieser Schauprozesse lag, dass sie öffentlich waren. Jeder, der wollte, konnte sich also über die Vorgänge informieren, konnte die menschenverachtende Sprache nachlesen und im Falle vom Slanski-Prozess die antisemitischen Argumentationen verfolgen. Ihn habe die Lektüre der Prozessberichte vom Kommunismus geheilt. Den letzten Teil seiner Ausführungen, die der 75jährige Wissenschaftler mit großem emotionalen Engagement frei hielt, widmete er der DDR. Offensichtlich gab es hier, wie auch in Polen, keinen derartigen Schauprozess. Darauf wiesen DDR-Politiker auch selbst immer wieder hin. Schauprozess in Vorbereitung Hermann Weber zitierte Reden und Briefe, in denen Walter Ulbricht in den 60-er Jahren rückblickend den Widerstand der DDR-Regierung gegen eine sowjetische Einmischung in die eigene Politik betont. Nach Weber ist das Autonomieargument dieser Selbstdarstellung eine Farce. Sehr wohl, so seine These, bereitete auch die DDR ihren Schauprozess vor. In Folge der Schauprozesse in Ungarn und Bulgarien 1949 gerieten auch in der gerade gegründeten DDR einige Kommunisten unter den Verdacht, Staatsfeinde zu sein. Als Beispiel nannte Weber Kurt Müller und Leo Bauer. Beide weigerten sich, ein Schuldbekenntnis abzulegen. Kurt Müller, der bereits elf Jahre in nationalsozialistischen Zuchthäusern verbrachte und 1950 einer der ersten politischen Funktionäre war, die das eben etablierte Ministerium für Staatssicherheit verhaftete, wurde in einem geheimen Prozess verurteilt. Leo Bauer wurde der sowjetischen Geheimpolizei überstellt und erhielt 25 Jahren Lagerhaft. Neben der Weigerung der Protagonisten, sich als Verräter vorführen zu lassen, waren es wegen der politischen Lage in Deutschland vor allem Gründe der Taktik, die einen Schauprozess verhinderten, vermutet Weber. Trotzdem wurde weiterhin Material über missliebige Personen gesammelt, so über den Ulbricht-Rivalen Franz Dahlem, der aus dem Politbüro abgesetzt wurde. Nach dem Slanski-Prozess kam es erneut zu Verhaftungen. Die Indizien sprächen dafür, dass eine ganze Riege hochrangiger Politiker unter dem Vorwurf der Zusammenarbeit mit den Amerikanern abgeurteilt werden sollte. Ein bekanntes Opfer ist das 1952 verhaftete ehemalige Politbüromitglied Paul Merker. Dass wieder kein Schauprozess zustande kam, lag am Zeitgeschehen, so Weber. 1953 starb Stalin und der Aufstand am 17. Juni lenkte die Aufmerksamkeit der Behörden der DDR auf näher liegende Probleme im Staate.Helen Thein

Helen Thein

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