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Kultur: Kein Wohlfühl-Kino!

Filmabend zum 65. von Regisseur Rainer Simon

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Hat ein Mensch so viele Leben wie eine Katze? Dies behaupten zumindest einige Figuren in Rainer Simons Film „Wengler & Söhne“. Der 1987 von der DEFA gedrehte Streifen wurde am Donnerstag Abend anlässlich Simons“ 65. Geburtstages honoris causa und per „Carte Blanche“ im Filmmuseum gezeigt: Eine sehr deutsche Familien-Saga über drei Generationen, die mit dem Sieg über Frankreich 1871 beginnt und im alliierten Bombenhagel 1945 mit einer nebeltrüben Landschafts-Totale endet. Es ist die Geschichte des jungen Kriegsheimkehrers Gustav, der feinmechanisch-optischen Werkstatt „Bärwolf & Abel“, wo er als Arbeiter nicht nur Anstellung, sondern auch seine lebenslange Heimat findet.

Aber es ist auch die Geschichte eines zu harten Versprechens. Noch zu Zeiten des alten Bärwolf ritzte Gustav ein Gelübde in Stein, wonach er seine männliche Nachkommenschaft sämtlich dieser Fabrik „weihte“. Verhängnisvoll für alle, die eigene Wege gehen wollen, wie etwa sein Sohn Fritz Sedan: Nachdem er schon als Kind darauf besteht, Lokführer zu werden, verstößt ihn Gustavs hart regierende Hand. Er wird den 90-jährigen Vater im Wortsinn aus dem Feuer holen, als die Firma 1945 im alliierten Bombenhagel ausbrennt – dann wird auch die steinerne Inschrift, der Eid, verschwunden sein.

Museums-Chefin Bärbel Dalichow würdigte vorab den Jubilar, erinnerte an seine biographie-prägende „Besteigung des Chimborazo“ von 1988, fügte allerdings hinzu, Rainer Simon habe erfahren müssen, wie schwer das Filmemachen sei. Deshalb habe er sich auf die Schriftstellerei verlegt. Klar, sein Buch „Die Regenbogenboa“ ist unvergessen. Er selbst hält das Alter nicht unbedingt für einen Verdienst, verstand angeblich auch gar nicht, warum man ihn feiere. Freilich fühle er sich jung genug, die Serie seiner Ecuador-Reisen schon nächste Woche fortzusetzen – sein anderes Leben.

Zum Film – „kein Wohlfühl-Kino!“ – sagte er nur, man habe ihn ausgewählt, weil er „seit der Wende nicht wieder aufgeführt worden ist“. Wirklich unbegreiflich, „Wengler & Söhne“ lebt von schönen, düsteren Bildern, einer verdichteten Atmosphäre und oft kurz abgebrochenen Szenen. Zeitkolorit ist darinnen durch die Jahrzehnte, aber auch Gegenwart am Ausklang der DDR: etwa beim Versuch des Bärwolf-Nachfolgers Abel, die Firma in eine den Arbeitern gemeinnützige Stiftung umzuwandeln, immun gegen die Propaganda der Linken.

Mit, oder trotz Marx, macht er den Unterschied zwischen Ausbeutern und verantwortungsbewussten Eigentümern klar. Für die vielen, manchmal verwirrenden Wege der Wenglers konnte Simon auf Schauspieler zurückgreifen, welche das Land damals nicht verließen: Protagonist Christoph Engel, Kathrin Waligura, Fritz Marquardt, Johanna Schall, andere.

Nichts spricht gegen das Werk. Lebensweisheit ist darinnen, auch ein wenig „Symbolismus“: Die Wenglers leben im Flecken Magdala zwischen sanfthügeligen Bergen: Im Hebräischen bezeichnet dieser Name sowohl die Stätte Maria Magdalenas als auch „Turm“, und einen solchen, der Königin Luise gewidmet, gibt es im Film tatsächlich. Hier reiben sich die Familiengründer Gustav und Berta das erste Mal aneinander, eine „Wenglerin“ der nächsten Generation wird es ihnen nachtun.

Wie diese Sippe deutsch und loyal bleibt, so führt Szenarist Helmut Bez auch die sozialdemokratische („aufrührerische“) Linie der Mothes durch drei Generationen wie durch sieben Leben hindurch. Bei Rainer Simon weiß man vorerst von zweien.

Gerold Paul

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