
© HL Böhme
Kultur: Keine Etikette am Königshof
Schillers „Don Carlos“ in der Inszenierung von Markus Dietz
Stand:
Schiller? Langweilig, umständlich, konstruiert! Über sein merkwürdiges Pathos haben bereits seine Zeitgenossen lästerlich gelacht. Bei dem sei doch alles nur Tendenz. Und trotzdem am Hans Otto Theater jener „Don Carlos“ von 1787 mit dem berühmten Satz: „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“?
Nach der krankheitsbedingt verschobenen Premiere sah man am Donnerstag zuerst einen blutigen Körper kopfunter auf einer ungeheuer tiefen Bühne hängen, ein gregorianisches Solo dazu. Ganz hinten saß die gesamte Stück-Personage diszipliniert und wartend auf Stühlen, neutral in moderne dunkle Anzüge oder in lange Kleider gewandet. Dieses Schlachthaus soll Spanien zur Zeit König Philipp II. darstellen, als die Monarchie zum Ende des 16. Jahrhunderts zwar noch in ihrer Blüte stand, jedoch bereits vom Abfall der Niederlande bedroht wurde. Fortschrittsglaube und republikanische Tugend in einer Menschenrepublik, darin zwar Toleranz und Gewissensfreiheit Platz finden sollten, kaum aber die überlieferten Werte der Bibel, hatte Schiller über seinen „Don Carlos“ geschrieben. Er schuf ein ideenträchtiges Dramenkonstrukt für die Zukunft – nicht ohne Mühe, wie man in seinen zwölf Briefen zum Stück nachlesen kann. Und nun also die Ideen des erklärten Kant-Jüngers dort zu überprüfen, wo Gedankenfreiheit noch möglich ist, auf einer Theaterbühne?
Die Inszenierung von Markus Dietz taugt dafür anscheinend nicht. Er gibt Schiller, wie sich der Pennäler das so vorstellt: gewaltige Haupt- und Staatsaktionen, feingesponnene Intrigen, die allerletzte Niedertracht, Dramatik zum Bersten, Leidenschaft wortwörtlich zum Anfassen. Das Stück ist nicht nur lang, sondern auch kompliziert. Schwere Schatten der Vergangenheit spielen da mit, wenn Königsvater Philipp (Bernd Geiling) seinem halb inzestiös gezeugten Sohn die Braut (Franziska Melzer als Königin Elisabeth eher indifferent) ausspannt, der sie aber noch liebt und begehrt. Mit der Jugendfreundschaft zwischen dem Infanten und dem Marquis von Posa (René Schwittay) stehen auch die Ideen der Aufklärung zur Disposition, zudem gibt es erhebliche Turbulenzen rund um Lust und Leidenschaft querbeet.
Die Regie stellt den Vater-Sohn-Konflikt ins Zentrum, baut mit dem Marquis von Posa das gedankliche Verbindungsglied, markiert den größten Teil der intriganten Besetzung, ohne ihr ein Gesicht zu geben. So sieht man in der dreistündigen Aufführung viele Dialogszenen. Die zwischen der Königsmätresse Eboli (Meike Finck baut sie wunderbar von innen her auf) und Carlos gehört zur schönsten in diesem Stück. Herzog von Alba (Philipp Mauritz) und Pater Domingo (Michael Schrodt) mit bedeutsam blutigen Händen wollen als konspirativ-klerikale Antagonisten verhindern, dass der Prinz mit dem Marquis von Posa in die aufständigen Provinzen der Niederlanden geht.
Die Spielweise auf der höchst wandelbaren Bühne (Ines Nadler) ist betont expressiv, leidenschaftlich und dramatisch. Da kommt es schon mal vor, dass Carlos seinen Paps einfach vom Stuhl schubst oder Pater Domingo an der Eboli herumgrapscht. Keine Etikette an diesem Königshof. Nun hat man es mit einer faustdicken Intrige zu tun, welche die Figuren in Eingeweihte und Nichtwisser teilt. Carlos (leb- und glaubhaft Dennis Herrmann) gehört zu den Unschuldigen, zu den Opfern im Stück, während nicht nur Domingo und Alba heimliche Fäden ziehen, sondern auch der Marquis von Posa. Nur spürt man davon nicht viel. Ihre Textpassagen werden platt und billig herausgebracht, ohne doppelten Boden, ohne Raffinesse, dafür mit so viel Pathos, dass man im Publikum lacht. Nicht mal dem König glaubt man seine zunehmende Neigung zum Sohne. Zu den echten Charakteren zählen also der Titelheld, die Eboli und vielleicht noch Lerma (Armin Dillenberger), der größere Rest ist mehr oder weniger Funktion, die Leidenschaft da noch behauptete, wo gar keine ist. Hätte Königin Elisabeth in ihrer dreifachen Verstrickung nicht einen geradezu irrwitzigen Spannungsbogen aufzubauen gehabt, der durchweg enttäuschende Posa nicht 100 Gesichter vorspielen müssen? Und was nun die Intrige betrifft, so ist der Regie wohl entgangen, dass eine jede immer nur Mittel zum Zweck ist. Nicht Mann gegen Mann kämpfen hier zuerst, sondern Geist gegen Geist! Das fehlt doch ziemlich.
Trotzdem bleibt die Inszenierung lange in der Balance. Erst nachdem Carlos und Posa als Verschwörer und Umstürzler erkannt sind, kippt sie. Wüstes Finale: Von oben her regnet es leere Plastikflaschen. Posa erschossen, ohne einen Anflug von Schauspielkunst opfert Bernd Geiling den Thronfolger der Inquisition, welche von einem ganz kleinen Großinquisitor (Caspar Krzysch) im Rollstuhl gespielt wird. Sein boshaftes Gelächter beendet das Stück. Am Anfang Kants berühmtes Zitat über die Aufklärung von 1783: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit...“, am Ende ihr Ende, sichtbar gemacht durch den wieder kopfabwärts hängenden Blutkörper von Carlos.
Wieder am 25. April und 10. Mai im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse
Gerold Paul
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