Von Klaus Büstrin: Keine wohlfeilen Antworten
Brittens „War Requiem“ wird unter der Leitung von Kristian Commichau im Nikolaisaal aufgeführt
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Der britische Komponist Benjamin Britten (1913-1976) war ein politisch denkender Mensch. Er war Pazifist. Für ihn gab es nichts, was einen Krieg rechtfertigen könnte. Die kompromisslose Haltung in dieser Frage findet sich auch in seiner Musik wieder, besonders im „War Requiem“, sein wohl exponiertestes Werk.
Kristian Commichau, der Potsdamer Universitätsprofessor, hat sich mit seinen Ensembles Cantus Cantabile sowie der Sinfonietta Potsdam dem „War Requiem“ angenommen. Sie werden es am 12. und 13. Februar im Nikolaisaal zur Aufführung bringen. Die beiden Klangkörper der Universität benötigen für die umfangreiche Besetzung natürlich Verstärkung. So sind die vocal-concertisten aus Berlin, der Kinderchor des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder, das Persius-Ensemble und das Landespolizeiorchester Brandenburg mit dabei. Als Solisten konnten Doerthe-Maria Sandmann, Sopran, Jan Kobow, Tenor, und Matthias Vieweg, Bariton, gewonnen werden.
Dies wird die dritte Interpretation des Werkes seit 1995 in Potsdam sein. Friedrich Meinel führte das Requiem zunächst mit der Kantorei an der Erlöserkirche auf, ein paar Jahre später Matthias Jacob mit dem Oratorienchor Potsdam in der Friedenskirche.
Anlass für die Komposition war die Einweihung der neuen Kathedrale von Coventry, einer englischen Industriestadt, die von deutschen Bomben im November 1940 völlig zerstört worden war. 554 Menschen starben bei den Angriffen. In den deutschen Kriegsjargon zog das makabre Wort vom „coventrisieren“ ein. Potsdam bekam die Rechnung erst fünf Jahre später, war es in Coventry die Kathedrale, war es hier die Garnisonkirche, die in Schutt und Asche gelegt wurden.
Benjamin Britten ist mit seinem „War Requiem“ weit davon entfernt, eine simple Verherrlichung der britischen Armee und ihrer Soldaten zu schreiben. Es ist auch keine Verdammung der Kriegsgegner, sondern er stellt die Gottlosigkeit des Krieges an den Pranger. Gleichzeitig setzt dieses Werk ein Zeichen der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft der Völker, auch durch die von dem Komponisten selbst getroffene internationale Auswahl der Solisten für die Uraufführung im Mai 1962: die Russin Galina Wischnewskaja sollte die Sopranpartie übernehmen (sie durfte aus Russland jedoch nicht ausreisen), der Engländer Peter Pears die Tenorpartie, der Deutsche Dietrich Fischer-Dieskau den Bariton-Part – eine Entscheidung, die Britten gegen viele Widerstände in England durchzusetzen vermochte.
Auch die Textauswahl, die die liturgischen Requiem-Worte mit neun Gedichten von Wilfred Owen kontrapunktiert, ließen an der pazifistischen Überzeugung des Komponisten keinen Zweifel. Owen hatte die Gedichte nach schockierenden Erlebnissen als Soldat im Ersten Weltkrieg geschrieben. „Mein Thema ist der Krieg, das Leid des Krieges. Die Poesie liegt im Leid“, schrieb der Dichter. Kurze Zeit nach der Niederschrift, am 4. November 1918, fiel er. Er wurde nur 25 Jahre alt.
In Brittens „War Requiem“ gibt es für Commichau nach wie vor aktuelle Themen: Krieg und Zerstörung, Mahnung und Trost. Dass Britten mit dem „War Requiem“ keine wohlfeilen Antworten auf die konkreten politischen Verhältnisse geben kann, ist klar. Doch das Requiem kann die richtigen Fragen stellen.
Dies musikalisch zu formulieren, ist für die Ausführenden eine große Herausforderung. „Die Ansprüche sind enorm“, sagt Kiristian Commichau. „Das Requiem ist zwar tonale Musik, aber mit scharfen Dissonanzen. Aber alles ist so geschrieben, dass man’s singen kann.“ Natürlich müsse man die Studenten erst motivieren, solch schwierige Werke in Angriff zu nehmen. „Aber wenn es nach einigen Proben anfängt zu klingen, dann sind sie Feuer und Flamme. Dann macht die Arbeit großen Spaß,“, erzählt Kristian Commichau. „Erstaunlicherweise weiß man wenig über den Ersten Weltkrieg. Die Zahl der Toten und Verletzten war sehr groß. Insgesamt starben fast 15 Millionen Menschen, darunter sechs Millionen Zivilisten. Über 20 Millionen Menschen wurden verwundet. Während der Proben begannen die Studenten, sich immer mehr für dieses Thema zu interessieren. Man las darüber und stellte Fragen.“ Commichau ist froh und dankbar, dass der Chor und das Orchester der Universität den manchmal dornigen Weg der langen Probenzeit mit ihm gegangen sind.
Das „War Requiem ist ein komplexes Werk, das drei verschiedene Ebenen aufweist: die Lateinische Totenmesse für Sopran, Chor und Orchester, Gedichte von Wilfred Owens für Tenor, Bariton und Kammerorchester sowie ein Knabenchor, der die vom Kriegsgeschehen unbefleckte Unschuld symbolisieren soll. „Wir werden den Raum des Nikolaisaals für die unterschiedlichen Gruppen natürlich nutzen.“
Bis zur ersten Aufführung am kommenden Donnerstag wird Kristian Commichau alles daran setzen, die Ensembles „auf einen Nenner zu bringen“, um Brittens Werk eine interpretatorische Leuchtkraft zu verleihen.
Benjamin Brittens „War Requiem“ Konzerte mit Einführung am 12. und 13. Februar um 19 Uhr im Nikolaisaal, Karten: 15/12 Euro, ermäßigt 10/8 Euro, Telefon: 0331/2888828.
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