Von Almut Andreae: Kiefers Kühe
Ausstellung „Europa“ mit Kuhbildern und Künstlerbüchern von Anselm Kiefer in der Villa Schöningen
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Es ist das erste Mal, dass sie öffentlich gezeigt werden. Lebensgroße bis überlebensgroße Kühe, gemalt von Anselm Kiefer. Verteilt auf neun, zum Teil Wand füllende Werke sorgten Kiefers Kühe am Freitagabend bei der Präsentation für Presse und geladene Gästen in der Villa Schöningen für glamouröse Premierenstimmung. Die charakteristische Bildsprache des weltberühmten deutschen Künstlers Anselm Kiefer wird in vielerlei Hinsicht sofort offensichtlich. Man denke nur an die Monumentalität auch dieser Bildwerke, an ihre Material- und Inhaltsschwere und den Drang des Künstlers, seine Leinwand zu löchern, aufzuschlitzen und großzügig zu öffnen.
All dies wird auch in den Kuhbildern eingelöst, mit denen sich Kiefer seit Mitte der neunziger Jahre beschäftigt. Die Tiere selbst stehen friedvoll auf der Leinwand. Dass ihnen der Leib geöffnet wurde, wird nur auf den ersten Blick zur Irritation. Einige Kuhbäuche sind zu einem großen Guckloch geworden und geben den Blick frei in eine Bildebene dahinter. Hier meint man, in die Endlosigkeit des nachtschwarzen, mit Sternen übersäten Firmamentes zu schauen. „Kühe, die Blumen fressen und als Sterne zurückgeben“, umschrieb Heiner Bastian, Kurator der Ausstellung „Anselm Kiefer – Europa“, in Anbetracht derartiger Bildkonstellationen die vom Künstler hergestellte Beziehung zwischen Pflanzen- und Sternenwelt, Mikrokosmos und Makrokosmos. Das viele Wiesenheu und Stroh, in dem die Kuh weidet, frisst und wiederkäut, tritt ihr im Zuge metabolischer, also stoffwechselbedingter Prozesse, buchstäblich aus ihren Eingeweiden. Es ist, als würden diese Bäuche bersten – aus den geöffneten Flanken quillt das Stroh. Die Naturalistik der Darstellung ist indes in ihrer Wirkung weder aggressiv noch drastisch. Eher harmonisch fügt sie sich in das mal überwiegend erdfarbene, mal silbriggraue Gesamtensemble ein.
Viel zu entdecken gibt es in all diesen Bildern angesichts der virtuosen Bearbeitung der Leinwand zu einer sich vielschichtig aufbauenden Malhaut. Das schwere Gemisch aus Öl, Emulsion, Acryl und Schellack lässt eine krustige und schrundige Oberfläche entstehen. Tiefe Risse und Furchen geben ihr stellenweise die Materialität von borkiger Baumrinde. Dadurch, dass die Materialbilder hinter Glas stehen, werden sie zu Schaukästen, in deren Innerem noch genug Raum ist, alternativ zum Stroh ganze Bündel vertrockneter Dornenzweige aufzunehmen.
Das in den Kuh-Bildwerken angelegte Verweissystem aus klassischen Malmitteln nebst Beimischungen aus dem Naturreich und kreatürlichen Kosmos lässt sich nicht so ohne weiteres dechiffrieren. Ein zur Ausstellung erschienener Katalog gibt Verständnishilfen zum Werkkomplex „Europa“ des ehemaligen Beuys-Schülers und dessen künstlerischer Intention. Unabhängig davon deuten die Bildtitel „Europa“ und „Pasiphae“ mit ihrem Bezug zur griechischen Mythologie in eine unmissverständliche Richtung.
Dass seine Kühe über die Glienicker Brücke kommen würden, das, so hatte Anselm Kiefer vor einigen Monaten Mathias Döpfner, Mitinhaber der Villa Schöningen, mitgeteilt, „stand schon geschrieben“. Der Einzug der Kühe in seine Kunst war für die Außenwelt so lange ohne Konsequenzen geblieben, bis Döpfner an der Seite von Walter Smerling, Vorsitzender der Stiftung für Kunst und Kultur, eines Tages im 36 000 Quadratmeter großen Atelier Anselm Kiefers in Südfrankreich aufgetaucht ist. „Die habe ich nur für mich gemalt“, stellte sich der Künstler vor seine Kühe. Doch das Begehren seiner Besucher, genau diese in Deutschland zu zeigen, setzte sich durch.
In der Villa Schöningen, vor noch nicht mal einem Jahr von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Deutsch-Deutsches Museum an der Glienicker Brücke eröffnet, schloss sich pünktlich zum Wiedervereinigungs-Jubiläum an einem denkbar geschichtsträchtigen Ort der Kreis. Die Preview am Freitagabend einte Kiefer, seine Kühe und die Kanzlerin. Im Scheinwerferlicht blitzte in Allgegenwart der Kühe kurzzeitig eine Allianz zwischen Kunst und Politik auf, die von dem Ideal Europas überstrahlt wurde. Kanzlerin Merkel erkannte in Kiefers Kühen ein Sinnbild für den geduldigen „Wiederkäuer, der in der Mühsal des Alltags sein Leben dahinfristet und dabei einen glücklichen Eindruck macht“. Zuvor hatte Hausherr Mathias Döpfner mit munteren Worten beschrieben, wie die Kühe von Frankreich nach Potsdam gelangten, um anspielungsreich mit dem Fazit zu enden, „dass Kosmos und Kuhmist irgendwie zusammenhängt“.
Ganz ohne Zweifel sind viele Lesarten denkbar für die neun imposanten Materialbilder, in denen sich der Künstler in immer neuen Variationen der Kuh und dem Kreislauf des Lebens hingibt. Aufschluss geben mögen hier nicht zuletzt sechs ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Bücher gigantischen Ausmaßes, die in den letzten 15 Jahren entstanden. Schwergewichte auch diese Arbeiten, erzählen die aufgeschlagenen Buchseiten von idyllischen Kuhweiden in der Auvergne oder werfen Blicke in die geheimnisvolle Welt der Pflanzen. Titel wie „Blutblume“ für ein aus Blei, Acryl und Kreide gearbeitetes Buch oder „Transition“ für ein anderes, das Photographie-Reproduktionen mit Tinte und Wasserfarbe vereint, ziehen ungewöhnliche Register. In der Ausstellung treten die Bücher hinter den effektvolleren Kuhbildern zurück. Obwohl ihr Inneres sicherlich spannende Beziehungen zu den eigentlichen Stars der Ausstellung verbirgt.
Bis 31. Januar 2011, Di-Fr 11-18, Sa/So 10-18; Villa Schöningen, Berliner Str. 86
Das Video wurde uns freundlicherweise von PotsdamTV zur Verfügung gestellt.
Almut Andreae
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