Kultur: Klasse, Küche, Bett
Theater in Fremdräumen: Premiere der Stadt-Spiel-Truppe und der TheaterWerkstatt
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Deutschstunde. Behandelt werden soll Goethes Faust, die Gretchentragödie. Bitte nehmen Sie die Bücher zur Hand, Vers dreitausendundirgendwas, möchte jemand laut lesen? Die Klasse schweigt, sie wird auch während der folgenden 50 Minuten stur weiterschweigen. Sie hat Oberstudienrat Klamm den Krieg erklärt, und ihre Waffe ist die totale Verweigerung. Oder besser: unsere Waffe. Denn die Klasse sind wir, das Publikum. Gespielt wird „Klamms Krieg“.
Regisseurin Constanze Jungnickel (Stadt-Spiel-Truppe) hat mit ihrer Inszenierung Kai Hensels Einmannstück um den Kampf zwischen einem Lehrer und seinen Schülern wieder an seinen ursprünglichen Ort zurückgeholt: in ein Klassenzimmer der Sportschule Potsdam. An den Wänden hängen bunte Skizzen, Masken, selbstgestaltete Plakate. Auf einem steht: „Die Kunst der Romantik“, Klamms Unterrichtsthema. Auch sonst bietet die Premiere am Originalschauplatz Schule interessante Bezugspunkte zum Stück. In das Fach einer Schulbank in der letzten Reihe hat jemand mit Tipp-Ex „Rebel“ geschmiert.
Das Rebellieren von Schülern gegen die Lehrerautorität ist allerdings nur eines der wichtigen Themen in Hensels komplexem Stück. Andere sind neben Machtmissbrauch auch Neid, Voyeurismus, die Suche nach Nähe und der Kampf um Wahrheit und Ideale in Zeiten der zynischen Desillusionierung. Immer wieder pendelt Lehrer Klamm von Resignation („Schule wird sich nie ändern“) zu trotzig vertetener Ehrlichkeit („Wir finden uns doch alle zum Kotzen“) und zurück. Laiendarsteller (und ehemaliger Lehrer) Mathias Iffert spielt dieses Wanken, den Kampf um die eigene Position, aber auch um das Verständnis der Schüler, mit großem Einfühlungsvermögen und macht Klamm so zu der vielschichtigen Gestalt, als die Hensel ihn geschrieben hat. Iffert brüllt, wütet, bezirzt und jammert bis keiner im Publikum mehr weiß, ob dieser Klamm zu bemitleiden oder zu verurteilen ist.
Constanze Jungnickel, die hier ihre erste Regiearbeit vorstellt, beeindruckt immer wieder mit Szenen, die subtil und überzeugend zugleich das Rätsel Klamm illustrieren. Erklären will sie ihn uns zum Glück nicht – so dürfen wir eine Stunde die Schulbank drücken, ohne belehrt zu werden. Vor allem wollen Jungnickel und Iffert vor vielen Klassen (ab Jahrgangsstufe 10) spielen und sich zur Diskussion stellen. Schulen, die sie für vier Euro pro Person zu sich einladen wollen, melden sich bitte unter 0331/280100 oder schreiben an theaterschiff@theaterschiff-potsdam.de. Lena Schneider
Niemand von den Zuschauern weiß, was ihn erwartet. Und die Darsteller lernen erst kurz vor dem Auftritt ihre „Bühne“ kennen. Sie wissen auch nicht, wie viel Interessierte die Vorstellung besuchen. Es können zwei sein, vielleicht auch zwanzig. Am Dienstagabend fanden sich fünfzehn Zuschauer ein. Für sie wurde kein Theater gewählt, sondern eine Privatwohnung. Die TheaterWerkstatt Potsdam – in ihr haben sich Schüler der Montessori Schule unter der Leitung des Berliner Schauspielers Armin Beber zusammen gefunden –, will ihr selbst entwickeltes Stück „Die Suche nach dem Glück“ in den
vier Wänden von einladenden Bewohnern einer Wohnung oder eines Hauses spielen. Armin Beber, der Mitglied der irischen Theatercompany ist, hat die Idee, Theater in Privatwohnungen zu geben, auf einem Theaterfestival in Cork in Irland vor zwei Jahren erhalten.
Die Potsdamer Premiere fand am Mittwochabend in der Bornstedter Katharinenholzstraße statt. Familie Grosse-Wiesmann hat für die fünf Darsteller Wohnzimmer, Küche, Treppenhaus und Schlafzimmer zur Verfügung gestellt. Mit unbekannten Räumen und Gegenständen mussten die Schüler spielen. Und es war erstaunlich, wie unverkrampft sie mit den Sitzmöbeln, dem Kühlschrank und sogar den Ehebetten umgingen. Überhaupt haben die Neun- bis Vierzehnjährigen ganz souverän und in keinem Augenblick oberflächlich ihre Rollen verkörpert, allen voran Ronja Raunitschka als Nina. Die Inszenierung hatte zwar so manchen Leerlauf, aber auch viele schöne poetische Momente, besonders als Nina ihren Halbbruder (Justus Popp) kennenlernt – im Traum. „Die Suche nach dem Glück“ ist weitgehend ein intelligentes Traumspiel, in dem nicht nach dem äußeren Glück, sondern nach dem inneren gesucht wird, in dem Nähe und Zuneigung wichtige Rollen spielen. Die Familie Grosse-Wiesmann empfand das Theater in ihren Räumen als ein Glück. Sie und ihre Gäste spendeten den Darstellern sowie dem Initiator und Regisseur Armin Beber viel Applaus. Doch sie nahmen ihn nicht in Empfang. Auf leisen Sohlen „schlichen“ sie sich aus dem Haus. Sie waren einfach fort – wie im Traum, an dem man sich aber gern erinnert. Man kann sich die Theaterwerkstatt noch ins Haus holen. Für den 11., 13., 15. und 16. März gibt es noch freie Termine für die gut 45-minütige Aufführung. Anfragen unter Telefon 0173/9705457. Klaus Büstrin
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