Kultur: Komm in das Land Tu-was-du-willst
„V wie Vendetta“: Über das Comic, das in Babelsberg verfilmt wurde und jetzt auf der Berlinale Premiere hat
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Nicht viele Attentäter zitieren Shakespeare. Doch durch das faschistische London des Jahres 1997 streift am 5. November eine maskierte Gestalt, befreit eine junge Frau aus den Händen der Geheimpolizei und wirft ihren Widersachern Worte aus „Macbeth“ entgegen: „Ihn umschwärmen, stets sich mehrend, der Natur Bosheiten, und das Glück, dem scheußlichem Gemetzel lächelnd, schien des Rebellen Hure.“ Dieser Shakespeare ist in der Anti-Utopie von Alan Moore, dem Kultautor der englischsprachigen Comicszene, ein verlorenes Kulturgut – untergegangen im atomaren Chaos des dritten Weltkrieges und zertreten unter den Stiefeln faschistischer Kolonnen, die im postnuklearen England die Macht erobert haben. Und der Rebell, dem das Glück in diesem Fall lächelt, nennt sich selbst V – V wie Vendetta, denn die Geschichte, die Moore in seinem Comic erzählt, ist die Geschichte einer Rache. Sie beginnt mit der Befreiung Eveys, der jungen Frau, und der anschließenden Sprengung der Parlamentsgebäude und der Westminster Abbey. Der Zerstörung also jener Gebäude, die bereits 1606 beim so genannten Schießpulverattentat auf die englische Regierung gesprengt werden sollten. Guy Fawkes, populärster der damaligen Verschwörer, wurde gefangen genommen und hingerichtet. Noch heute feiert man in England den Guy-Fawkes-Tag, an dem Guy-Fawkes-Puppen verbrannt werden zur Erinnerung an das vereitelte Attentat. Ein englischer Kinderreim über das Schießpulverattentat beginnt mit den Worten „Remember, remember the Fifth of November“ – in Moores Comic vergisst niemand mehr den 5. November: Er ist der Auftakt eines Feldzuges, der ebenso gnadenlos wie gewalttätig ausfallen wird.
V, das Phantom mit der Guy-Fawkes-Maske, ist der Mann, dessen Identität im Konzentrationslager ausgelöscht und dessen Geist durch die medizinischen Versuche dort verwirrt wurde. Doch ihm geht es um mehr als nur um persönliche Rache. Den Kampf, den er führt, führt er für die entmündigten Bürger Englands. Er hat sich abgewandt von der Gerechtigkeit, weil sie korrumpiert wurde von einem menschenverachtenden Regime, und streitet nun für ein neues Ideal: die Anarchie. Denn nur ihr traut er es zu, den Weg zu bereiten für ein neues England, in dem es keine Überwachungskameras und keine Marschkolonnen geben wird. Es ist das Land Tu-was-du-willst, in das V gelangen will, und es ist nur über die Asche der alten Ordnung zu erreichen.
Genau diese Botschaft ist es, die Moores Comic über den maskierten Attentäter und tatsächlich auch Humanisten so spannend wie unbequem macht: Gewalt als letztes Mittel zum Glück. Es lässt sich nicht abstreiten, dass V alle Rechte auf seiner Seite hat, wenn er den Kampf antritt gegen ein Regime, das Juden, Schwarze, Homosexuelle und andere Minderheiten bis zur Vernichtung verfolgt. Es ist nicht zu leugnen, dass die Dinge, für die er kämpft – Freiheit, Selbstbestimmung, Menschlichkeit – Dinge sind, für die es sich lohnt zu kämpfen. Doch seine Methoden sind fragwürdig. Moore weiß, dass V Grenzen übertritt, wenn er seine Verbündete Evey einer simulierten KZ-Haft unterwirft, um ihr die „Gitterstäbe des Käfigs ihrer Existenz“ zu zeigen, und in voller Absicht lässt er den Leser sich trotzdem mit V identifizieren. Er will, dass der Leser zurückschrickt und gleichzeitig versteht. Dass er sich ertappt, wie er V zustimmt, wie er die Methoden, die dieser anwendet, zumindest ein Stück weit vor sich selbst rechtfertigt, weil sie einer guten Sache dienen.
Moore wirft zwar jene uralte Fragen auf, um deren Antworten stets gerungen werden muss: Kann Glück erzwungen werden, kann Gewalt legitimes Mittel für „die gute Sache“ sein? Und heiligt der Zweck tatsächlich die Mittel? Doch die Beantwortung überlässt er dem Leser, was die Lektüre von „V wie Vendetta“ herausfordernd macht. Er zieht sich zurück auf die Position eines Chronisten, der die Geschehnisse zwar mit Pathos vorträgt, aber sich nicht auf die Billigung oder Verurteilung der Taten seines Protagonisten festnageln lässt. Dass diese Gratwanderung zwischen Identifikation mit der Hauptrolle und Erschrecken über ihren leichtfertigen Umgang mit Gewalt gelingt, ist seinen herausragenden Qualitäten als Erzähler zu verdanken. Wo in anderen Comics – und nicht nur dort – nur allzu gerne unreflektiert die Selbstjustiz des einsamen Rächers gefeiert wird, findet man hier eine tiefgründige, manchmal auch abgründige Auseinandersetzung mit der Ambivalenz von Gewalt.
Es ist dieser schwere Metaplot, der die im Frühjahr 2005 realisierte Verfilmung von „V wie Vendetta“ im Studio Babelsberg zu einem anspruchsvollen Unternehmen macht: Das Thema ist zu sperrig, um Popcorn-Unterhaltung zu bieten, andererseits ist dies genau das, was das Publikum von Comic-Kino oft noch immer erwartet – und bekommt. Doch viele Filme des Genres kranken an mangelnder Umsetzung der Handlung ihrer Vorlage: Die ernsthaften, tiefgehenden Themen, die Comics ebenso wie jede andere Literatur auch bieten können, werden ausgeblendet, weggeschnitten, um die vordergründige, grelle Action nicht unnötig zu beschweren. Alan Moores vielschichtiges Porträt einer Gesellschaft im Umbruch in „From Hell“ wurde in der Verfilmung radikal heruntergebrochen auf eine simple Jagd nach Jack the Ripper. Die inneren Brüche der Charaktere in „Die Fantastischen Vier“? Um der unbeschwerten Superheldenstory willen wurden sie auf der Leinwand weitgehend ausgeklammert.
Moore soll sich bereits vorab von der Vendetta-Verfilmung distanziert haben. Ob die künstlerischen Differenzen, die er als Grund angab, von einer eventuellen Vernachlässigung der philosophischen Fragen des Comics herrühren, wird sich am Montag zeigen: Dann feiert „V for Vendetta“ mit Hollywood-Schauspielerin Natalie Portman in der Rolle des Mädchens Evey auf der Berlinale Weltpremiere; ab dem 16. März läuft der Film regulär in den deutschen Kinos.
Doch eines steht schon jetzt fest: „V wie Vendetta“, geschrieben Mitte der 80er Jahre, hat heute (wieder) ungeahnte Aktualität. Der Held der Geschichte jagt mit Vorliebe Gebäude in die Luft und legt Bomben in der U-Bahn – Parallelen zu den Ereignissen vom 11. September 2001 bis zu den Anschlägen in London vom Juli letzten Jahres drängen sich geradezu auf. Das Comic „V wie Vendetta“ zeigt, wie sehr es auf die Perspektive bei der Unterscheidung zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen ankommt. Wie auch immer die filmische Umsetzung dieses Stoffes aussehen mag – sie wird für Zündstoff sorgen. Buchstäblich.
Matthias Oden
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