
© Andreas Klaer
Kultur: Kommissarin mit Knallphobie
Die Schauspielerin Eva Mattes war mit Chansons und Erinnerungen an eine unbequeme Theatergeneration zu Gast in Potsdam
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Der Auftritt passt zu ihr. Allein auf der großen Bühne des Hans Otto Theaters, am kleinen Tisch mit Leselampe, ihr zur Seite die Pianistin am Flügel – mehr braucht es nicht. Eva Mattes, ihr Leben lang Schauspielerin, hat kein Problem damit, ihr Publikum als Solistin und ohne großes Brimborium zu unterhalten. Der Saal am Donnerstagabend ist nicht voll, aber die, die gekommen sind, um die großartige Schauspielerin zu sehen und zu hören, sind am Ende beeindruckt. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie so vielseitig ist“, sagen manche Zuschauer nach dem letzten Beifall.
Genau das ist es, was der in Österreich geborenen Künstlerin anhaftet: Bescheidenheit und Genie in einer Person. „Ich wollte nie Mainstream machen“, sagt Eva Mattes, und nie wollte sie in die Klatschpresse. Trotz der zahlreichen Auszeichnungen, Filmpreise und Theaterskandale, in die sie verwickelt war, ist sie heute vielen nur als TV-Tatort-Kommissarin Klara Blum bekannt. Doch bereits im Alter von 17 Jahren erregt sie Aufmerksamkeit mit ihrer Rolle in einem Film von Michael Verhoeven. Sie spielte eine junge Vietnamesin, die von Soldaten während des Vietnamkriegs vergewaltigt und anschließend umgebracht wird. Der ein wenig surreal in Bayern angesiedelte Film, deutscher Beitrag zur Berlinale 1971, wird dort von der Jury empört zurückgewiesen. Aus Solidarität ziehen andere Filmemacher ihre Beiträge zurück – ein Skandal.
Solche Geschichten über ihre Arbeit, die bundesdeutsche Film- und Theaterszene der 70er- und 80er-Jahre, liest Eva Mattes aus ihrer Autobiografie „Wir können nicht alle wie Berta sein“, erschienen 2011 bei Ullstein. Es ist ein Buch über Eva Mattes persönlich – und Zeugnis einer 68er Theatergeneration, ihres Selbstverständnisses, ihrer Arbeitsweise, über Kreativität und Skandale – die es heute so nicht mehr gibt. Und die, so der Eindruck der Lesung, die beiden Protagonistinnen des Abends sehr vermissen. Schwärmerisch die Erinnerungen, die Schilderungen von Party-Exzessen in Wohngemeinschaften, experimentellen Inszenierungen und Friedenskonzerten mit Tausenden Zuschauern. Mancher Theatergänger trauerte damals den Schauspieltraditionen eines Gustaf Gründgens nach, erinnert sich Eva Mattes amüsiert.
Mit Liedern von Marlene Dietrich, Friedrich Hollaender und Kurt Weill, Hans Albers und Walter Mehring illustriert sie ihre Lesung, Lieder, sagt ihre Begleiterin und Freundin Irmgard Schleier am Flügel, die immer noch und immer wieder gesungen werden müssen. Etwa Wolf Biermanns Verse über Deutschland. Politisches Engagement war beiden wichtig, und ganz nebenbei habe Eva Mattes singen gelernt.
Tatsächlich hat die Schauspielerin ein eher praktisches Verhältnis zum Singen, sie singt, weil es raus muss, weil es Spaß macht. Keine gekünstelte Stimme, sondern ein unprätentiöser Alt. Sie singt, wie sie spielt. Gern würde man sie an diesem Abend auch als Schauspielerin erleben, die vorgetragenen Erinnerungen machen neugierig auf diese Frau, die einst in einem Bericht als „keine Schönheit, aber ein schauspielerisches Urviech“ beschrieben wurde. Weil sie sich für eine Wunde echtes Ochsenblut ins Gesicht schmieren ließ oder sich als 16-Jährige für „o. k.“ in die kalte Isar werfen ließ. Man will sehen, wie sie die Desdemona in „Othello“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg spielte, unter sehr improvisierten Bedingungen. Zehn Kilo hungerte sie sich runter, weil Regisseur Peter Zadek sie, die sich pummelig fühlte, in einen Bikini stecken wollte. „Othellos Schminke färbte aber ab und er befleckte mich – der Neger blieb an mir kleben“, sagt Eva Mattes, ein Effekt, den sie fortan nutzten und der Anfang der 70er Jahre für Aufruhr sorgte. Sie spielte nicht nur für Peter Zadek, auch für Reiner Werner Fassbinder, den sie später wiederum selbst spielte – eine Männerrolle und für die junge Schauspielerin ein interessanter Perspektivwechsel .
Bei der Lesung steht ihre Stimme im Vordergrund. Die 59-jährige ist eine großartige Vorleserin und Synchronsprecherin, obwohl sie als junges Mädchen mit einem Sprachfehler zu kämpfen hatte. Sie ging stets ganz klar ihren Weg, und diese Unbeirrbarkeit beeindruckt bis heute.
Heute lebt die Mutter zweier Kinder in Berlin, 2002 ließ sich für die Rolle der Kommissarin des Konstanzer Tatorts werben. Wieder eine Herausforderung, nicht nur, weil sie schreckliche Angst selbst vor Platzpatronen hat. „Ich habe eine Knallphobie“, erzählt Eva Mattes. Vor allem wollte sie wissen, wie man eine Polizistin überzeugend spielt. Von einem echten Kommissar ließ sie sich Tipps geben. „Nie den Menschen aus den Augen lassen, bis du weißt, was mit ihm los ist“, sagte dieser. Das habe sie sich gemerkt. Wenn schon Kommissarin, dann wollte sie es richtig machen.
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