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Kultur: Komplexe Zeitbilder

Die „Chronologie Potsdam und Umgebung“ spiegelt akribisch die Kulturlandschaft von 800 bis 1918

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Zu einem gesellschaftlichen Ereignis wurde gestern Abend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte die Premiere des dreibändigen Buches „Chronologie - Potsdam und Umgebung“. Darin stellen der Maler Olaf Thiede, der auch die 516 Abbildungen auswählte und bearbeitete, und der Gartenhistoriker Jörg Wacker auf mehr als 1300 Seiten die Geschichte der Kurlandschaft Potsdams und seiner Umgebung von 800, dem Beginn der Christianisierung, bis zum Jahr 1198, dem Ende des Ersten Weltkrieges dar. Sie ordnen die Ereignisse und Personen auf Zeittafeln, die von der von den Herrschern über insgesamt 189 Ortschaften, Kriege und Revolutionen, Bau- und Gartenkunst, Rechtsverhältnisse, Wissenschaft und Wirtschaft bis hin zu Gasthäusern und Brauereien kein wichtiges Gebiet auslassen.

Ministerpräsident Matthias Platzeck nannte die Veröffentlichung ein „Standardwerk, das dem Leser ermögliche, sich in der Geschichte zu orientieren und historische Zusammenhänge zu verstehen. Dem schloss sich Andreas Reichelt, Vorstandsmitglied der E.On.edis AG an, die die Herausgabe finanziell gefördert hat. In seinem Fachkommentar würdigte der Vorsitzende der Studiengemeinschaft Sanssouci, Klaus Arlt, Mut, Energie und Durchhaltevermögen der beiden Autoren, die Hunderttausende Fakten erschließen mussten. Dabei griffen sie auch auf Hunderte Beiträge von Heimathistorikern zurück und bestätigten damit den Wert von deren ehrenamtlicher Tätigkeit. Verdienstvoll sei, dass die Chronologie Brandenburg/Havel als „Mutter der märkischen Städte“ den gebührenden Rang einräume. Jörg Wacker und Olaf Thiede zeigten sich beeindruckt von der starken Resonanz, die ihr Buch hervorgerufen hat. E. Hohenstein

Was macht das Rathaus von Werder neben der Gerichtslaube von Babelsberg? Und warum ragt die Domkirche zu Berlin plötzlich hauteng an der Garnisonkirche von Potsdam in die Höhe? Die Bauzeit macht“s, die diese Sinneinheit ermöglicht. Der Maler und Grafiker Olaf Thiede hat in 40 thematischen Collagen Zeitbilder geschaffen. Er ordnete Burgen, Kirchen, Schlösser und auch Wirtschaftsbauten den jeweiligen Stilepochen und Herrschaftshäusern zu. Das schlägt weite inhaltliche Bögen und verlangt zugleich ein Mitdenken. Während die Collagen in dem Buch „Chronologie – Potsdam und Umgebung“ im Text eingebunden sind, wirken sie in der ab heute geöffneten Ausstellung im Potsdam-Museum für sich. Zwei Räume in der Benkertstraße 3 sind mit den Arbeiten Thiedes zur Kulturlandschaft von Brandenburg, Potsdam und Berlin gefüllt. Sie bringen Ordnung und Gesichter hinter all“ die Joachims, Friedrichs und Wilhelms und zeigen beredt das künstlerische Wirken ihrer jeweiligen Baumeister.

Es war eine sich über sechs Jahre hinziehende Sisyphusarbeit, die Thiede in Buch und Bildwerke steckte. Eine mit Leidenschaft betriebene. Denn er beschäftigte sich schon als Kind mit Collagen und später auch mit Federzeichnung. Die auf genaue Schraffur und Struktur ausgerichtete Technik ist dem Grafiker bestens vertraut. Und die für so ein komplexes Werk benötige Heimatliebe wuchs zudem mit jedem der Tausende von Kilometern, die der radelnde Maler bereits in die Pedalen trat. Die kleinsten Dorfkirchen umkurvte er, den Blick für Proportionen dabei immer wieder schärfend.

Und so geht auch auf seinen Collagen, auf denen es vor Details nur so wimmelt, die Ordnung nicht unter. Es gibt Mittelachsen und den goldenen Schnitt, die er seinem komplexen Gebäude-Mix unterlegt. Die Ausstellung zeigt neben dem präzisen künstlerischen Auge das zusätzliche „Handwerksmaterial“ Thiedes. Da sind zuallererst die Kupferstiche, Federzeichnungen oder Holzschnitte der vorvorderen „Kollegen“, wie Daniel Chodowiecki, Adolf Menzel, Walter Bullert oder der vielen unbekannten Zeichner, die in Heimatschriften akkurat ihre Zeit festhielten. 90 Prozent der verwendeten Illustrationen konnte er seiner eigenen Büchersammlung entnehmen, so der geschichtsbeflissene Künstler. Er kopierte die zeithistorischen Abbildungen aus den Büchern heraus, vergrößerte oder verkleinerte sie millimeterweise, bis sie sich einfügten in das gewünschte Gebäudepuzzle. Dann schnitt er sie mit der Nagelschere aus, klebte sie bilderbogenmäßig zusammen, korrigierte vorsichtig mit dem Eyeliner, hob Konturen hervor und kopierte am Ende das Ganze. „Schwierig war es, die unterschiedliche Strichdicke auszugleichen. Eine Zeichnung der Hakeburg war so dünn, dass ich dreimal mit dem Toner drüber musste, bis Linien entstanden.“

Wichtig war ihm auch, gesellschaftliche, soziale oder technische Entwicklungen bildlich einzufangen: wie die Kanalisation oder Elektrifizierung. „Wir bewerten nicht, zeigen aber durchaus, was es unter den Königen und Kaisern auch an Fortschritten gab.“ Während den Autoren Olaf Thiede und Jörg Wacker inhaltlich jede Schwarz-Weiß-Malerei abhold war, durchzieht die Schwarz-Weiß-Linie als grafisches Gewand einheitlich das Buch. Auch die zur heutigen Potsdamer Mitte geschaffenen Collagen ganz aus Thiedes eigener Feder reihen sich dabei ein.

Einziger Farbtupfer in der Ausstellung ist ein rotes Rotweinglas in der „Handwerker“-Vitrine – gleich neben Schere, Kleber, Stift. „Das ist nur augenzwinkernd gemeint. Ich muss mich nicht, wie man es Künstlern oftmals andichtet, erst betrinken, um eine ruhige Hand zu haben.“ Ab und an habe er sich aber schon mit einem guten Tropfen belohnt: auf dem langen Weg von den Askaniern bis zum Ende der Monarchie. Heidi Jäger

E. Hohenstein

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