Kultur: König von Trabiland
Robinson, ein Optimist, und Freitag, sein widerspenstiger Diener: Die Uraufführung von Ted Keijsers „Crusoe“ hat niveauvoll unterhalten
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Robinson, ein Optimist, und Freitag, sein widerspenstiger Diener: Die Uraufführung von Ted Keijsers „Crusoe“ hat niveauvoll unterhalten Von Marion Hartig Er tritt erst auf die Bühne, als ein großer Teil der Geschichte erzählt ist. Freitag, der wilde Junge mit dem struppigen Haar, dem kecken Blick und den zotteligen Kleidern. Er liegt in einem Netz gefangen auf einer winzigen Insel, kann sich befreien, baut eine Brücke aus Brettern nach nebenan und steht plötzlich Robinson, dem Einsiedler, gegenüber. Er ist neugierig, aber vorsichtig, dann plötzlich außer sich vor Freude. Ein Mensch. Die beiden umarmen sich heftig und tanzen wilde Freudentänze. Man schließt den neuen Mitbewohner auf der Insel (mit naiver Hingabe dargestellt von Niels Heuser) sofort ins Herz. Auch wenn Freitag erst so spät zum Zuge kommt – in dem von Ted Keijser inszenierten Kinderstück, das gestern im Hans Otto Theater in der Reithalle A uraufgeführt wurde, spielt er eine entscheidende Rolle. Erst durch ihn wird die Geschichte über den auf einer unbewohnten Insel gestrandeten Schiffbrüchigen zu einer außergewöhnlichen Geschichte, die sich vom Original entscheidend abhebt und doch nah an der literarischen Vorgabe bleibt. Der holländische Regisseur hat den 1719 veröffentlichten Roman von Daniel Defoe zeitgeschichtlich aufgepeppt. Nicht das er den Titelhelden an den Rand geschoben hätte. Wie eh und je steht Robinson (überzeugend gespielt von Marie-Luise Lukas) im Mittelpunkt, entdeckt optimistisch die unbekannte Welt, baut sich ein neues Leben auf der Insel auf – ohne die Hoffnung auf das Schiff am Horizont, das ihn nach Hause zurückbringt, zu verlieren. Wie bei Defoe bringt Robinson Freitag das bei, was er selbst kann: Sprache, Christentum, Grünkohl anpflanzen. Und er macht den Wilden zu seinem Diener. Doch das bleibt der neue Bewohner der Insel nicht lange. Theater-König Robinson sitzt auf wackligem Thron, der Autositz auf dem rostigen Trabi wird nicht ewig dort oben stehen (eines von vielen witzigen Bühnenbildern von Laura de Josselin de Jong). Spannend und unterhaltsam erzählt der Regisseur seine Geschichte. Es gibt viel zu lachen. Die ersten zwanzig sprachlosen Minuten vergehen wie im Flug. Robinson der Pantomime – es fällt erst auf, als er endlich zu sprechen beginnt. Aber warum hätte er vorher auch groß reden sollen? Die Zweimann-Band (Andreas Dziuk und der dann in die Rolle des Freitag schlüpfende Niels Heuser) auf dem Balkon hoch über der Bühne hat ausgedrückt, was in ihm vorgeht. Traurige Klavierklänge, wuchtiges Schlagzeug. Wozu braucht man da viele Worte? Und so geht es weiter. Die Musik als feinfühliger Stimmungsmacher. Der oft die Tonlage wechseln muss. Wenig konstant ist das Innenleben der Figuren. Auf und ab. Mal sieht die Welt rosig aus, der Grünkohl sprießt. Dann wieder ziehen Wolken auf, keine Hoffnung mehr, dass die Einsamkeit je ein Ende haben wird. Doch Robinson gibt nicht auf, er macht sich an die Arbeit von irgendwas, baut weiter am Inselleben. Denn: Das Leben ist eine Baustelle, dafür spricht schon der gelbe Helm auf seinem Kopf. Ein schönes Bild. Zum Schluss hin muss der Held besonders an seiner Beziehungskiste zu Freitag bauen. Keine große Überraschung heute, dass der Diener bald nicht mehr dienen will. Anders als bei Defoe vor fast 300 Jahren. Robinson Crusoe ist eine locker erzählte Geschichte, die, ohne zu überfrachten, die wichtigen Motive einer legendären Erzählung zu einem zeitgemäßen Kinderstück verknüpft. Das ohne weiteres mindestens so unterhaltend ist wie Kino.
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