Von Lena Schneider: Krankheitsbild einer Zeit
„Der Fall Janke“ – ein biografisches Stück am Hans Otto Theater uraufgeführt
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Die „schnellste Maschine der Menschheit“ sieht aus wie eine Mischung aus V2 und Concorde und heißt „Hora Eternitatis“ – Stunde der Ewigkeit. „Man wird 5000 Jahre lang eine derartige Maschine benutzen!“, steht handgeschrieben neben der Zeichnung. „Weil kaum jemals eine bessere Konstruktion möglich ist!“
Karl Hans Janke hieß der Mann, der diese Sätze neben seine Skizze kritzelte, die am Freitag Abend im Foyer des Hans Otto Theaters zu besichtigen war. Seine „Hora Eternitatis“ wurde nie gebaut. Als Janke sie entwarf, saß er, wie für gut die Hälfte seines knapp 80-jährigen Lebens, in der Psychiatrie. 2500 Zeichnungen und Modelle hat er dort entworfen. Trajekte, Raumschiffe, mit Flugmotoren ausgestattete Kugelschreiber: Der einsame Versuch eines Einzelnen, am großen Wettrüsten- und Erfinden der zweigeteilten Welt teilzuhaben.
Geboren 1909, Kriegsdienst, DDR-Bürger: Janke war nicht nur Kind, sondern auch Symptom seiner Zeit. Sein Krankheitsbild – chronisch paranoide Schizophrenie oder „wahnhaftes Erfinden“ – hätte man auf andere Weise ebenso Breshnew, Kennedy oder Nixon attestieren können. Die Symptome des Kalten Krieges eben. Janke starb 1988, kurz bevor dieser zu Ende ging.
„Der Fall Janke“, die Bühnenfassung von Adriana Altaras, Dirk Olaf Hanke und Michael Erler, die seine Geschichte nun erzählt, schafft ein Kunststück: Sie ist musikdurchtränkt, übermütig, bunt, offen um die Aufmerksamkeit des Zuschauers buhlend (um Gottes Willen keine Langeweile, keine Pausen!) – und trotzdem berührend, zart, stimmig. Wie in „Julia Timoschenko“ (2006) erzählt Altaras keine Biographie, sondern einen Zustand. In „Der Fall Janke“ ist der nicht zu trennen von dem Ort, an dem Janke lebte: die Heilanstalt Hubertusburg. Janke sah sich hier fälschlich festgehalten. „Ich bitte dringend um schnellste Hilfe!“, ruft Christian Klischats Janke gleich zu Beginn, starr und dringlich. Verzweifelt oder verrückt? Klischat zeigt, dass die Grenzen schmal sind: Er ist beides.
Acht Türen, sechs Stühle, dunkelgrüne Wände, Neonröhren: Die Bühne von Christoph Schubiger versetzt uns in die kontrollierte Tristesse einer Heilanstalt, ganz ohne Zwangsjacken oder klinische Kacheln. Ein Lied, und man wähnte sich in der morbiden Bühnenwelt des Regisseurs Christoph Marthaler. Lieder gibt es wirklich, Marthalersche Melancholie indes kommt nur zu Beginn auf: Da steht das siebenköpfige Ensemble auf dem Podium in der Bühnenmitte und singt steif ein Lied nach dem anderen: „Heimat, wann seh ich dich wiederrrr ...“ Hier schert Janke aus, kommt mit den störrisch durchexerzierten Bewegungen des Chores nicht klar und wird, als er schüchtern aber bestimmt „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“ intoniert, vom Chefarzt (Andreas Herrmann) sanft zurechtgewiesen.
Die köstliche Lakonie des Auftakts hält der Abend nicht durch, statt Stille folgt Groteske – aber auch die kann köstlich sein. Wenn die Anstaltskumpanen (eine durchweg herrliche, lustvolle Ensemblearbeit: Nicoline Schubert, Moritz Führmann, Joachim Schönitz, Helmut G. Fritzsch und Friederike Walke als Schwester) etwa Armstrongs Mondlandung nachstellen, in Zeitlupe, mit vor dämlicher Verzückung verzerrten Zügen, und Moritz Führmann außer sich vor Freude zur Krönung die DDR-Fahne hisst (auf dem Mond!) – dann erzählt das mit liebevoller Ironie von der Hysterie der 60er Jahre, vom traumtänzerischen Selbstbild der DDR, von den Sehnsüchten der Anstaltsinsassen nach dem Draußen und von Janke, der überzeugt ist, das Ganze sei Propaganda und so nie geschehen. Überhaupt ist der Abend in seinen Ensemblearrangements ein Fest: Jeder und jede einzelne ein schrulliger, eigener, liebenswerter Charakter, für die stellvertretend Nicoline Schubert genannt werden soll: als sperrige, überspannte Vogel-Frau Christine, in die der arme Janke sich unheilbar verguckt. Sein Werben bleibt so fruchtlos wie der Versuch, seine Pläne beim Patentamt anzumelden. Zum Schluss ist Christine entlassen, Janke bleibt zurück, Hubertusburg sein Schicksal.
Von Betroffenheit ist das meilenweit entfernt. Am Ende bietet Altaras mit dem Rollentausch von Arzt und einem Patienten sogar eine tröstliche Pointe: Genau, die Grenze zwischen „normal“ und „verrückt“ bleibt fließend. Von einer „Stunde der Ewigkeit“ mag so mancher träumen.
Nächste Vorstellung: 24. 10., 19.30 Uhr
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