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Kultur: Kurzurlaub im Kinosessel

Regisseur Christian Wüstenberg über seinen Dokumentarfilm „Die Ostsee von oben“

Stand:

Herr Wüstenberg, Sie sind für Ihre beiden Filme über die Nord- und Ostsee in die Luft gegangen. Warum?

Ich bin an der Nordseeküste aufgewachsen. Meine Eltern hatten ein kleines Boot und wir waren viel an der Nord- und Ostseeküste unterwegs. Ich dachte immer, ich kenne diese Landschaft. Aber als ich das erste Mal Luftaufnahmen gesehen habe, merkte ich: Das sieht ja gar nicht aus wie bei mir vor der Haustür. Das sieht aus wie in der Karibik oder wie auf einem anderen Planeten. Und das hat mich wahnsinnig fasziniert.

Und dann wurde die Idee geboren, einen Film ausschließlich aus der Luft zu drehen?

Es gab vorher nur den Film von Yann Arthus Bertrand „Die Erde von oben“. Meine Freundin Silke Schranz und ich waren die ersten, die in Deutschland etwas Ähnliches mit der Nordsee gemacht haben. Wir waren sehr überrascht, dass unsere Begeisterung von so vielen Zuschauern geteilt wurde und wir es zur erfolgreichsten Naturdokumentation 2011 mit 200 000 Besuchern gebracht haben, was für eine Naturdokumentation wahnsinnig viel ist. Und die Leute im Kino fragten uns immer wieder: Was ist mit der Ostsee? Da wir selbst an der Ostsee oft Urlaub gemacht haben, dachten wir: Die muss doch wenigstens genauso schön aussehen wie die Nordsee.

Ein zweiter Aufguss?

Wir haben nicht das Gefühl, dass es nur ein zweiter Film wurde, der dem ersten ähnlich ist. Die Ostsee sieht ja ganz anders aus als die Nordsee. Sie hat die Boddenlandschaft, das Wasser ist immer da. Dann gibt es die langen Sandstrände bei Zingst. Auch die alten Hansestädte wie Lübeck, Wismar, Stralsund sehen von oben ganz toll aus. Das sind Strukturen, die in Hunderten von Jahren gewachsen sind. Ja, und deswegen haben wir jetzt, zwei Jahre später, den zweiten Film in die Kinos gebracht.

Sie gehen jetzt in die zehnte Kinowoche. Wir lief es bislang?

Wir hatten 65 000 Besucher in den ersten neun Wochen. Der Nordseefilm von oben hatte im gleichen Zeitraum 75 000 Besucher. Aber da es derzeit so heiß ist und die Leute doch lieber bei 35 Grad selbst an den Strand gehen als im Kino den Strand zu sehen, sind wir sehr zufrieden. Der Film wird ja auch nicht schlecht. Wir kriegen jede Woche Anrufe von Kinos, die sagen, wir wollen den Film spielen. Und das sind Anrufe von der Ostseeküste, aus Brandenburg, vom Ruhrpott und auch aus Bayern. Denn auch von dort fahren viele an die Ostsee in den Urlaub.

Der Film als Art Urlaubsverlängerung?

Ja, ein Kurzurlaub im Kinosessel. Wir spüren auch die Mund-zu-Mund-Propaganda. Viele sagen ihren Freunden: Du kennst ja die Ostsee. Die sieht schon toll auf Augenhöhe aus, aber wenn du sie aus der Vogelperspektive betrachtest, kommen noch ganz andere Dinge zum Vorschein. Das müsst ihr euch im Kino angucken. Und man bekommt vielleicht Anregungen, wo man das nächste Mal Urlaub machen könnte.

Wenn man von oben schaut, hat man auch nicht die eng aneinanderliegenden Körper. Im Sommer ist die Ostsee nicht nur Idylle.

Ja, das stimmt. Ich habe aber keine Kinder und bin nicht darauf angewiesen, in den Schulferien dorthin zu fahren. Aber das Schöne ist ja, dass es an der Ostsee durchaus noch ruhigere Strandabschnitte gibt.

Welche Ecke favorisieren Sie?

Ich mag das Ursprüngliche: Mir gefällt das Naturschutzgebiet Darß, wo man nur zu Fuß hinkommt und kilometerweit laufen kann. Wenn man es von oben sieht, ist man berauscht von den exotisch anmutenden Farben. Auch die Schlei in Schleswig-Holstein sieht von oben ganz toll aus, auch dort ist es sehr ursprünglich und dünn besiedelt.

Sie haben mit einer Spionagekamera gedreht, die vom amerikanischen Geheimdienst CIA entwickelt wurde: mit einer Cineflex, die als beste Helikopterkamera der Welt gilt.

Ja, die Kamera ist für Spionage- und Beobachtungsflüge entwickelt worden. Wenn die Geheimdienste Einsätze fliegen, um Menschen zu verfolgen oder zu beobachten, wollen sie natürlich nicht, dass ihr Hubschrauber gesehen wird. Also fliegen sie in zwei Kilometer Höhe. Da ist kein Knattern mehr zu hören, das sie verrät. Und mit dieser Kamera kann man die Erde so dicht ranzoomen, dass man sogar Nummernschilder und die Augenfarben der Menschen erkennen kann, ohne dass etwas verwackelt. Die Kamera hat einen Bildstabilisator eingebaut.

Und wo haben Sie die Technik her?

Wir haben natürlich keinen Hubschrauber im Garten stehen und auch keine Kamera gekauft. Die kostet eine halbe Million Euro. Beides wurde für die Zeit angemietet. Es gab ein Budget für zwei Wochen Drehzeit. Aber die haben wir im Zeitraum von sechs Wochen umgesetzt. Immer wenn Wolken waren, konnten wir nicht drehen. Die Regenwolken befinden sich so auf einer Höhe von 200 Metern und im Nationalpark sind Flughöhen von 800 Metern vorgeschrieben. Wir wollten ja keinen Film machen, der heißt: „Die Wolken von oben“. Das würde für 90 Minuten sicher zu langweilig werden. Wir wollten den Zuschauern zeigen, was sie nicht kennen und die klaren Farben kommen nur zustande, wenn es nicht diesig ist.

Wie hoch war Ihr Budget?

Das liegt im sechsstelligen Bereich. Wir haben uns für den Dreh mit den Spezialisten für Hubschrauberaufnahmen Peter Bardehle und Klaus Stuhl zusammengetan. Ansonsten machen wir alles alleine, ohne Sponsoren oder Werbung. Wir haben die ganze Recherche, den Schnitt, die Musik, die Nachvertonung der Geräusche und den Text gemacht. Und wir bringen den Film auch selbst in die Kinos. Das ist schon sehr ungewöhnlich. Normalerweise ist es so, dass Kinofilme in Zusammenarbeit mit Fernsehsendern entstehen und dann gibt es einen Haufen Sponsoren und Unterstützer. Wir haben alles aus eigener Kraft gestemmt. Deshalb haben wir auch so lange dafür gebraucht: anderthalb Jahre.

Und warum haben Sie auf Sponsoren verzichtet?

Unsere ersten Filme waren Reisefilme fürs Kino über Neuseeland, Portugal und Australien. Wir wollten nicht miterzählen, dass diese oder jene Unterkunft oder Autovermietung toll ist. Das nimmt uns unsere Glaubwürdigkeit. Wir wollen authentische Filme machen: bei den Reisefilmen und bei den Von-oben-Filmen auch. Wir sind von keinem Tourismusamt bezahlt worden. Die Einzige, die jetzt für sich Werbung macht, ist die Ostsee allein.

Und wer sind Ihre Besucher? Im UCI läuft der Film ja schon am Nachmittag.

Er kann sehr verschieden eingesetzt werden. Im UCI läuft er im Familiennachmittags- und Seniorenprogramm. Aber es kommen auch junge Leute in den Film, gerade an der Ostsee. Und den Kindern geht es oft so wie mir als Kind, als ich mir am Fernsehturm in Berlin an der Scheibe die Nase plattgedrückt habe, weil von oben alles so toll aussah, die Autos wie Streichholzschachteln, die Menschen wie Ameisen. Mit meiner Freundin kloppe ich mich heute noch im Flugzeug um den Fensterplatz. Wenn man den Blickwinkel ändert, sind einfach viele Dinge neu.

Das Gespräch führte Heidi Jäger

Zu sehen am Montag, dem 5. August, um 15 Uhr im UCI, Babelsberger Straße 10

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