zum Hauptinhalt

Kultur: Land hinter dem Regenbogen

Der DEFA-Code: Heute vor 60 Jahren begann das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg

Stand:

Ein- oder zweimal im Monat konnte man sie fast alle treffen: die Regisseure und die Kameraleute, die Schnittmeister- und die Kostümbildnerinnen, die Autoren, Dramaturgen und die Lektoren, die unablässig die DDR-Literatur nach verfilmbaren Stoffen absuchten. Plaudernd standen sie in Grüppchen vor dem betriebseigenen Kino „DEFA 70“ zusammen, nicht jeder mochte mit jedem reden, so wie dies in einer weitläufigen Verwandtschaft zuweilen der Fall ist. Aber man kannte einander und wartete nun mehr oder minder gespannt auf das neue Werk eines Kollegen. In letzter Minute, wenn alle schon im Saal saßen, schwebten der Generaldirektor, zugleich Mitglied des Zentralkomitees der SED, und der beliebtere Chefdramaturg auf ihre erhöht stehenden Sessel. Die Vorführung konnte beginnen.

Das Ergebnis wurde hinter verschlossener Tür verhandelt, es musste nicht die endgültige Entscheidung sein. Rainer Simons zeitkritischem Werk „Jadup und Boel“ wurde die Zulassung wieder entzogen. Erst sieben Jahre nach der Studioabnahme, 1988, gelangte der Film ins Kino: mit fünf Kopien.

Es gab höhere Instanzen als die der DEFA-Autoritäten. Eine politische, aus Parteisicht freilich befreundete Macht hatte am 17. Mai 1946 den Gründungsgesellschaftern Alfred Lindemann (1954 nach Westberlin geflohen), dem aus dem Moskauer Exil heimgekehrten Schauspieler Hans Klering, den Regisseuren Kurt Maetzig (Begründer des Augenzeugen, 1947 machte ihn sein Spielfilmdebüt „Ehe im Schatten“ berühmt, 1954/55 leider auch die Thälmann-Filme) und Slatan Dudow („Kuhle Wampe“, 1932, mit Brecht) sowie Karl Hans Bergemann (Ökonom, 1949 Flucht nach Westberlin) durch die sowjetischen Kulturoffiziere Barski, Dymschitz und Fradkin die Lizenz zur Gründung der Deutschen Film-Aktiengesellschaft überreicht.

Der bescheidene Festakt fand nicht in der Caligari-Halle statt, wo heute Abend 800 Gäste das Jubiläumsfest feiern, sondern im Althoff-Atelier in Alt-Nowawes, nahe dem Babelsberger Park. Das große Ufa-Gelände haben bis 1951, als aus der so genannten Aktiengesellschaft ein VEB wurde (zu dem das Dokumentar-, das Animations und das Synchronfilmstudio sowie das Kopierwerk hinzukamen), noch die sowjetischen Besatzer genutzt. Doch diese Periode lag, als man in den achtziger Jahren die halb öffentlichen Abnahmen einführte, lange zurück, und niemand dachte noch daran, wie die Drehbücher einst immer der russischen Kontrollinstanz vorgelegt werden mussten - auch die bewährter Genossen wie Dudow. Der Ton war locker geworden, das große Team eingespielt, man hatte das 11. Plenum und den von Ulbricht verübten Kahlschlag überstanden, was sollte Schlimmeres kommen.

Und überhaupt: Ob ein Drehbuch akzeptiert, ein Film erlaubt wurde oder nicht, am Monatsende überwies die Firma in jedem Fall das für ostdeutsche Verhältnisse üppige Gehalt. Da konnte man auch vor fremden Ohren ruhig mal Dampf ablassen und auf die nächsten Angebote warten, am besten zu einem weniger verfänglichen historischen Stoff. Manches gebrannte Kind wie Rainer Simon sollte geradezu ein Meister der historischen Maskerade werden.

„Es war einfach meine Heimat“, bekannte Kurt Maetzig 1999, was bei ihm, dem dienstältesten Regisseur, nicht wundert. Erstaunlicher ist schon, dass Egon Günther, der wegen des fortgesetzten Ärgers mit den Funktionären seit Ende der siebziger Jahre zum Leben und Arbeiten die Bundesrepublik vorzog, die DEFA im Rückblick als seine „Nährmutter“ ansieht. Familienangehörige halten zusammen, „bis dass der Tod euch scheidet“– so der Titel von Heiner Carows erfolgreichem harten Ehefilm. Nicht einmal zu Zeiten der Ufa hatte es einen derart engen Zusammenhalt gegeben.

Als wäre es selbstverständlich, gehörten nahezu alle Regisseure der SED an, auch Egon Günther, Rainer Simon, Frank Beyer und Konrad Wolf. Offenes Dissidententum mochte sich niemand auf die Fahnen schreiben, es wäre sofort unterdrückt oder von den zahlreichen Stasi-IM im Vorfeld verhindert worden. Zwei von vier Dramaturgengruppen, und gerade aus deren Mitte kamen die interessantesten Arbeiten, führte ein IM – kluge Köpfe konnten mittels Zusammenarbeit mit dem Überwachungsdienst noch klüger und erfolgreicher zu werden. Vor allem sorgten sie dafür, dass die Talente zur richtigen Zeit mit den richtigen Projekten ruhig gestellt waren, wie etwa Lothar Warneke 1988 mit der in die Endzeit passenden Geschichte „Einer trage des anderen Last“.

Andere IM, so der Schauspieler Erwin Geschonneck, kämpften aus gekränkter Eitelkeit für die eigene Sache. Auf der Hut war man freilich vor den eigenwilligen jungen Regisseuren, die der Generaldirektor durch rigorose Ablehnung aller Vorschläge zu domestizieren trachtete. Mit Bitterkeit im Herzen ging zum Beispiel Hannes Schönemann mit seiner Familie in den Westen. Andere, wie Herwig Kipping, nutzten die Gunst der letzten Stunde, um der untergegangenen DDR eine Utopie nachzusenden. Sein Kinodebüt „Das Land hinter dem Regenbogen“ erhielt 1992 den Bundesfilmpreis.

Die DEFA, zusammengehalten durch gemeinsame Hoffnungen und viele wachsame Augen, wird ein Unikat der deutschen Filmgeschichte bleiben. Es ist unsinnig, wie jüngst in einer Publikation geschehen, den Filmen vorzuhalten, die Lebensverhältnisse in der DDR nicht getreu widergespiegelt zu haben. Weder wollten noch durften sie das. Von Anbeginn pflanzte die DEFA den Glauben an das Morgen als Banner auf, das war ihr Code, an dem man sie bis heute sofort erkennt, selbst da, wo – wie in Arbeiten von Konrad Wolf, Roland Gräf und Evelyn Schmidt – Ernüchterung und Ratlosigkeit das Licht der Zukunft verdunkelten. Einige Werke erreichten Weltgeltung. „Sterne“ und „Ich war neunzehn“ von Konrad Wolf, „Jakob der Lügner“ und „Der Aufenthalt“ von Frank Beyer sind zuvorderst zu nennen. Vieles war nützlich für den Tag und manches nur Propaganda.

Inzwischen riecht es auf dem modernisierten und erweiterten Filmgelände in Babelsberg nicht mehr nach DEFA. Volker Schlöndorff kann beruhigt sein. Im Jahr 2005 hat die Babelsberg AG einen Jahresüberschuss von 2,6 Millionen Euro erwirtschaftet. Von solchen Gewinnen hätten der in Rente gegangene Generaldirektor und sein Buchhalter gern geträumt. Seine „Heimat“ wird diesen Ort freilich niemand mehr nennen.

Die deutsche Filmproduktion ist verstreut wie die Kultur des Landes und zahlt den handelsüblichen Preis der Freiheit: Jeder für sich und keiner für alle. Vielleicht übt darum die DEFA – mit einer Retrospektive am New Yorker MoMa hat die Nostalgie kürzlich einen schwindelerregenden Höhepunkt erreicht – eine so große Faszination aus.

Armin Müller-Stahl, der DEFA und DDR nach der Biermann-Ausbürgerung verließ, dagegen möchte nicht gern „in einer faden Suppe“ stochern. Wie auch immer, zu erforschen bleibt noch manch gut gehütetes Geheimnis der lustigen DEFA-Baracken.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })