Kultur: Land in Sicht?
Premiere von „Sand in Sicht“ im Potsdamer Kabarett Obelisk Ein Programm mit viel Temperament und hoher Aktualität
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Auf die Frage, warum die Satiriker vom Obelisk in der Vergangenheit so manch schläfriges Programm gemacht und davon lange Reprisen gegeben, hörte man jüngst den geflügelten Satz: Was sollen sie denn tun? Na, was schon, ordentliches, zeit- und ortsbezogenes Kabarett mit spitzfrecher Zunge, bis die Balken sich biegen. Nun, besagtes Holz bewegte sich bei der Premiere von „Sand in Sicht“ zwar nicht gleich aus seiner Ordnung, aber das neue Sommer-Programm, ein sehr musikalischer Streifzug durch 850 Jahre Brandenburger Geschichte, konnte sich tatsächlich hören und auch sehen lassen.
Es schien, als ob Albrecht der Bär die Exilanten in Preußen – „das unheilvolle Gengemisch aus Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern“ namens Helmut Fensch und die bekennende Sachsenzierde Andreas Zieger – recht ordentlich wachgeküsst hätte. Gretel Schulze steht ja als waschechte Märkerin und Kabarett- Dampflok sowieso jenseits aller Anfechtung.
Mit aller verfügbaren Energie legte sie sich wider die Fremdlinge für ihr „Country home“ ins Zeug, was nicht immer ganz, aber meist einen ziemlich gültigen Rahmen für die Dramaturgie abgab. Aber einer wie Zieger lässt sich nicht einfach heim schicken, der sitzt fest. Das zahlreich erschienene Publikum applaudierte den drei alerten Protagonisten unter obeliskem Gebälk meist prächtig, obwohl dieses „kulturpolitische Fundament“ für Parteisausen und Volksfeste Open air bestimmt ist.
Zwei weiße Wölkchen, ein Roter Adler von auffallender Freundlichkeit und ein schwarzweißer Preußenblitz am Bühnenhimmel gaben die sparsame Kulisse. Die drei sprachen sich diesmal mit Namen an, wenn es galt, Sachsen zu verteidigen, den märkischen Sand zu loben oder „Mac-Pomm“ wegen weltferner Mentalität einfach zu ignorieren, was sich gewiss noch mehr polarisieren ließe. Verwandte Stämme wurden im deftigen Publikumskontakt gefunden, ein Düsseldorfer etwa, der sich angeblich „nicht traute“, seine Identität zu verraten. Mit preußisch-forschem Verlangen („in einem Atemzug mit griechisch! römisch! zu nennen“) nach Ausweis! Personenkennzahl! Fingerabdruck! forderte man den Zuschauern einiges ab.
Stöhnte Albrecht der Bär noch 1157 „Hier wohnt keine Sau“, so holten man eben Fremde ins Land, wie Fensch und Zieger heute: „Es waren nicht immer die besten“. Der alte Dessauer kratzte am Preußen-Image, die Hohenzollern im Schnelldurchlauf, um dann auf Kohl zu kommen, welcher die Parteienspender noch immer nicht preisgibt, „weil er den Namen Thyssen“ nicht aussprechen kann“.
Überhaupt war es ein temperamentvolles Programm voller Aktualität: Lob auf Platzecks mittelmärkisches „Seniorenparadies“, eine kritische Medienanalyse, Angela Merkel wurde ohne Kalauerei die Unschuld genommen, Ursula von der Leyen ein Jungfernkranz verpasst, Heiligendamm, Beelitzer Spargelexport nach Mittelost, wo man das Zeug für Stangendynamit hält, der Rote Adler im Wandel der Zeit von Albrecht bis zum aktuellen „Islamisierungsstand“ in Luckenwalde – sehr gut, sehr nahe. Deutliche Worte jedenfalls.
Zweierlei fiel deutlich auf. Zum einen waren die Herren diesmal aktivistische Kabarettisten, zum anderen ist der musikalische Anteil unterm Gebälk hoch zu loben: Duette A Capella oder mit flotter Instrumentalbegleitung, vorzüglich arrangierte Terzette, Kontrafrakturen auf Bob Dylan, Joe Cocker, ganz Lob dem Adler im Wappen. Am Schluss die Reprise des Anfangs. Land in Sicht?
Gerold Paul
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