Von Heidi Jäger: Lange Schatten
„Es gibt Tage ...“: Armin Mueller-Stahl brachte im Nikolaisaal seine 45 Jahre alten Lieder zu Gehör
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Von seinem Gesicht sieht man an diesem Abend wenig. Der Schatten der Hutkrempe legt sich düster über die blauen Augen. Überhaupt ist dieses Konzert im Nikolaisaal wie ein langer Schattenwurf. Wenn Armin Mueller-Stahl auf einem Barhocker sitzend, ganz schlicht zu singen beginnt „Nun wart’ ich jede Stunde und wart’ auf deine Schritte“ stolpert er keineswegs auf Liebespfaden. Es ist ein Warten auf die Freunde, die fort sind: in den Westen, so fern.
45 Jahre alt sind seine Lieder, die der 80-jährige in seinem sonoren Sprechgesang am Dienstag vorträgt – vor ausverkauftem Haus. Und sie führen ihn zurück in ein Land, das auch er verließ. „Es geht um Spinnen und Flöhe und andere Tiere. Keiner hat diese Lieder gemocht in der DDR. Aber meine Frau bestand darauf, dass ich sie noch einmal aufnehme. Nun haben wir den Salat“, sagt er mit sympathisch spitzbübischem Unterton. Und er deklariert diesen Abend zugleich als öffentliche Probe. „Wenn wir uns verspielen, dann machen wir es noch mal. Es kann also 12 Stunden dauern.“ Es sollen nur zwei Stunden werden, zwei intensive Stunden, in Düsternis getaucht, aus der immer mal wieder Heiter-Skurriles aufleuchtet. Vielleicht etwas zu wenig.
Es liegt dem großen Schauspieler, der gerade für sein Lebenswerk mit der Goldenen Kamera geehrt wurde, fern, als Star aufzutrumpfen. Gemeinsam mit seinen drei Musikern, die, wie er, von Kopf bis Fuß in dunkles Grau vor das Publikum treten, zelebriert er so etwas wie eine Andacht der Erinnerung. „Es gibt Tage, da bin ich so unversöhnt, da hätte ich mir die Menschen am liebsten abgewöhnt“, lässt er seine rauhe Stimme, die auch in die Höhe greift, ertönen, die Hände vor der Brust gefaltet und noch tiefer unter seinem Hut versinkend. Das Saxophon von Günther Fischer schreitet das Tal der Traurigkeit weiter aus, sekundiert von Tom Götze am Bass und Tobias Morgenstern am Akkordeon. Es ist wie ein leiser Regen im November, nicht stürmisch aufpeitschend, aber doch ein Frösteln hinterlassend. „Dass ich kein Michael Jackson bin, werden Sie gemerkt haben, und auch, dass wir gegen den Strom der Zeit schwimmen“, unterbricht er sparsam moderierend das glitzernde Meer der Töne. Ganz filigran, ganz sensibel, wollen sie zu Werke gehen. Und sie tun es: leise, weise, unspektakulär. Es gibt nichts Übersprudelndes, Aufgeblasenes, dafür feinsinnige Dialoge zwischen den bravourös aufspielenden Musikern und dem Maitre de Plaisir, der seine Freunde immer wieder nach ihren jazzig angehauchten „Ausflügen“ mit Beifall in den Hafen zurückholt.
Auch Armin Mueller-Stahl greift zur Geige, entlockt ihr ohne Mühe weiche, kecke Töne, denn er ist nicht nur Schauspieler, Maler, Dichter und Sänger, sondern auch studierter Violinist und Musikwissenschaftler. Er lässt es nicht durchgehen, wenn ein Zwiegespräch „ausfranst“. Dann wird eben wiederholt. Es ist doch „Probe“. Und es kommen ja noch fünf weitere Konzerte auf seiner Kurztournee, auf der geübt werden kann, und es keiner krumm nehmen wird, wenn mal etwas nicht ganz so perfekt läuft wie vom Perfektionisten Mueller-Stahl erwünscht.
Günther Fischer, sein Weggefährte, mit dem er die alten Lieder schon auf die Bühnen der DDR brachte, hat sie nun für die CD „Es gibt Tage ...“, die dem Konzert vorausging (und leider im Nikolaisaal nicht erhältlich war), neu arrangiert, verschlankt, behutsam modernisiert. Ganz minimalistisch. Die politischen Botschaften, die Armin Mueller-Stahl einst in metaphernreiche poetische Kleider hüllte, klingen heute fast wie fröhliche Fabeln. Denn selbst eine Stasi-Persiflage hat zum Glück ihre Zähne verloren. Spätestens wenn er singt: „Es war einmal ein Hut, der hatte einen Kopf, der war ihm viel zu dumm ... Wir wollen neue Köpfe, die alten sind zu schlecht“, kommt die einstige Sehnsucht nach fliegenden Hüten wieder in Erinnerung und es ist klar, warum die Vier ihre grauen Hüte als Replik auf eine graue Zeit hinter grauem Beton tragen. Auf eine Zeit, in der man für sein Glück, „sich ziehen und knoten muss manches Stück“.
Vor allem aber geht sein Lied „Ach du lieber Augustin“ unter die Haut, das er vor seiner Ausreise nach Westberlin 1980 schrieb. Ein Lied auf das Feuer, in dem er symbolisch seine Vergangenheit verbrennt. „Ein ganzes Leben habe ich mich nach Heimat gesehnt. Jetzt habe ich mir Heimat abgewöhnt“, singt der Rastlose. Und wenn es gar zu schwermütig wird, wie nach dem so aktuell wirkenden Antikriegslied „Vietnam“, spielen die Vier auch mal eine heitere Zigeunerweise.
Das letzte Solo überlässt Armin Mueller-Stahl seinem alten Freund Günther Fischer mit „Solo Sunny“. Nach stehenden Ovationen lässt sich der noch immer so jung wirkende Mime dann doch noch mal in die vordere Reihe bitten. Frech wie ein Schulbub besingt er die Blaue Kuh. Bis er sich im Text verhaspelt. „Also verabschiede ich mich mit einem misslungenem Geschenk“, sagt er vor der begeistert applaudierenden Fangemeinde, die den Meister endlich doch den Hut lüften sieht.
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