Kultur: „Lat mi in Ruh. Ick will in min Truh!“
Die Weihnachtsgans Auguste auf dem Theaterschiff
Stand:
„Das ist uns jetzt aber peinlich“. Die beiden Putzkräfte, bewaffnet mit Schrubber und Staubwedel, wollten eigentlich nur die Bühne auf Hochglanz bringen. Aber statt eines leeren Saals finden sie Dutzende erwartungsvolle Gesichter. Das Theaterschiff ist voll bis auf den letzten Platz, vorne drängeln sich die Kinder auf Sitzkissen, hinten die Eltern auf den Holzbänken. Vier Kerzen brennen am Adventskranz. Alles ist bereit, alle sind da. Nur die Schauspieler fehlen. Auch die Diva des Abends, Gans Auguste, wird schon ungeduldig. „Dat is schon nach um/ wenn ick nich bald spiele, fall ick wieder um“, zetert sie aus einer Holzkiste. Schließlich hat der Putztrupp Erbarmen. Und nimmt, fast ahnten wir“s, das Spiel in die eigenen Hände. „Die Geschichte kennen wir ja.“
Die meisten Kinder im Publikum kannten die Geschichte von der Gans, die als Braten gekauft wird und als Familienmitglied endet, zum Glück auch. Immer wieder helfen sie Constanze Jungnickel und Norman Jahnke, die „Weihnachtsgans Auguste“ auf die Bühne zu bringen. Alles, was die beiden Darsteller der Stadtspieltruppe dazu brauchen, nehmen sie aus einer Kiste: die drei Kinder der Familie Löwenhaupt sind drei Puppen, der kleine Peterle eine plüschige Bert-Figur aus der Sesamstraße. Die würdevolle Gestalt des Vaters Löwenhaupt, der in der ursprünglichen Fassung am liebsten in Opern-Zitaten spricht, ist ein kuscheliger Teddybär mit Hut. Nicht ganz unpassend, wenn man bedenkt, dass er zwar die Gans auf den Tisch bringen will, sie aber auch nicht zu schlachten vermag. Ein Hut aus der Kiste macht Constanze Jungnickel zu Mutter Löwenhaupt, eine Spitzenhaube aus Norman Jahnke das Dienstmädchen Theres. Und Auguste? Eine flauschig weiße Handpuppe, viel größer nicht nur als die Geschwister Elli, Gerda und Peterle, sondern auch als Papa Löwenhaupt. Was die eigentlichen Kräfteverhältnisse in der Familie auf humorvolle Weise deutlich macht.
Überhaupt gab es viel zu lachen in der Inszenierung der Stadtspieltruppe. Das lag einerseits an der zeitlos berührenden, aber auch immer beherzt ironischen Vorlage von Friedrich Wolf. Sein Kinderbuch, das es in den sechziger Jahren als Hörspiel mit Rolf Ludwig und Ende der Achtziger auch als DEFA-Film zu einiger Berühmtheit brachte, ist noch immer ungebrochen unterhaltsam. Das funktioniert vor allem, weil Friedrich Wolf hier einige zeitlos treffende Charaktere geschaffen hat: Den Vater etwa, der als Familienoberhaupt stets autoritäre Töne spuckt, aber eigentlich von den Frauen regiert wird. Oder den kleinen Peterle, den naseweisen Nachfrager, der sich durch keine leichtfertigen Antworten von den Erwachsenen abspeisen lässt. Oder die Gans natürlich, die in unvergesslich nordischer Mundart ihren Platz als gleichberechtigtes Familienmitglied einfordert: „Lat mi in Ruh/ Ick will in min Truh!“
Die Stadtspieltruppe verpasst dem Humor der Vorlage das Sahnehäubchen. Es wird liebevoll übertrieben und gealbert – jedoch nie, ohne die Kinder aus den Augen zu verlieren. So muss etwa Norman Jahnke erst gebettelt werden, dass er die gruseligste Szene spielt. Wenn er dann als Vater Löwenhaupt selbst versucht, am Tier Hand anzulegen, weil Mutter und Hausmädchen den Vogel zu lieb gewonnen haben, dann spielt er das in komischer Überzeichnung hinter einer Wand als Schattenriss. Auch das Rupfen der armen, von Valium-Tabletten betäubten Auguste passiert als Schattenspiel, immer einen Tick zu überdeutlich, als dass es wirklich schrecklich wäre. Die Kinder im Publikum rücken trotzdem zusammen, ein Mädchen ruft: „Sie ist nicht tot, musst dich nicht gruseln, Mama!“
Und richtig: Am Ende wird alles gut. Da brennen die vier Lichter am Kranz und die Löwenhaupts sitzen versöhnt unterm Tannenbaum – mit Elli, Gerda, Peterle und Auguste im Strickpullover. Eine hübschere Geschichte hätte es zum Auftakt der Weihnachtstage kaum geben können – so tier- wie familienfreundlich. Ob das Publikum den eigenen Festbraten jedoch mit ungebrochener Freude genossen hat, darüber kann nur spekuliert werden. Lena Schneider
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