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Man muss sich nicht gleich dagegen fahren. Alleen in Brandenburg gibt es zahlreiche. Sie sind schön anzusehen und laden ein, das Land zu entdecken. Wem das zu viel Mühe bereitet, der kann auch das „Brandenburgische Hausbuch“ lesen.

©  Patrick Pleul/lbn

Geschichten aus der Mark: Launisch durch das Brandenburgische

Unspektakulär in der Aufmachung, humorvoll im Inhalt: Das „Brandenburgische Hausbuch“ mit Geschichten und Gedichten, Erinnerungen und Berichten

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„Das wichtigste Markenzeichen für Brandenburgs Natur eignet sich auch am besten zum Durchfahren: die Allee. Die Alleen sind neben den Neonazis und Schloss Sanssouci oft das Einzige, wovon Uneingeweihte gehört haben, bevor sie zum ersten Mal nach Brandenburg kommen, und zwar auf eine Weise, die gewöhnlich im Märchen Verwendung findet. Das Märchen über Brandenburg geht so: Um das Schloss-ohne-Sorgen, das güldene Lustschlösschen auf dem Weinberg, zu erreichen, das tief im Inneren des Landes verborgen liegt, muss man erst ein paar Gefahren bestehen. Im Labyrinth der Kiefernwälder treiben haarlose Männer mit straff geschnürten Stiefeln und Fliegerjacken ihr Unwesen. Wenn man unbeschadet zuerst ihnen und dann dem Labyrinth entkommt, gelangt man auf Straßen, auf denen dauernd Leute gegen Bäume fahren: die Allee. Nur die Mutigen, Tapferen und Schönen erreichen schließlich Schloss-ohne-Sorgen.“ So schreibt es die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávic Strubel in ihrem Buch „Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg“. Im vergangenen Jahr ist diese so humorvolle, so ironische und so genau beobachtende Reisebeschreibung erschienen, die mehr ist als nur eine Gebrauchsanweisung. Es ist ein feines Sittenbild, weil Antje Rávic Strubel mit gesunder Skepsis des Einheimischen auf ihr Brandenburg schaut. Und es ist eines der besten Bücher, das über diese „Überdosis Dorf“, wie Antje Rávic Strubel Brandenburg nennt, erschienen ist.

Lakonie oder Ironie scheinen für Erik Gloßmann und Bernhardt Rengert nicht maßgeblich, um sich Brandenburg literarisch zu nähern. Die beiden haben in diesem Jahr das „Brandenburgische Hausbuch“ veröffentlicht. Klassisch-adrett und entsprechend unspektakulär in der Aufmachung ziert das Titelmotiv ein kolorierter Stahlstich mit einer Ansicht von Potsdam um 1820. Es ist das mittlerweile 19. Hausbuch, das der Verlag Husum herausgebracht hat. Diethard H. Klein hatte in den 1970er-Jahren noch beim Freiburger Rombach-Verlag das Konzept dieser sogenannten Hausbücher entwickelt, mit der eine „angenehme Mischung von Unterhaltung und vielfältiger, leicht eingängiger Information“ geboten werden soll. Es geht um „Stimmungsbilder und Informationen aus vorwiegend älteren Zeiten der jeweiligen Region“, wie Sachsen, Württemberg oder Westfalen. Im Jahr 2009 ist das „Mecklenburgische Hausbuch“ erschienen. Mit dem brandenburgischen Exemplar findet diese Reihe der Hausbücher nun ihren Abschluss. Wenn die Herausgeber von „brandenburgisch“ sprechen, dann meinen sie das Gebiet des 1990 gebildeten Bundeslandes Brandenburg. Weder die askanische Markgrafschaft, das Kurfürstentum oder das preußische Herrschaftsgebiet sind hier berücksichtigt. Der Leser durchwandert das Havelland und die Uckermark, die Lausitz und die Prignitz und erreicht am Ende der knapp 600 Seiten über Teltow-Fläming und Mittelmark dann Potsdam. Zu Wort kommen in dem „Brandenburgischen Hausbuch“ unter anderen Theodor Fontane, Heinrich von Kleist, Friedrich Schiller, Kurt Tucholsky, Peter Hades, Karl May, Clara von Arnim, Tisa von der Schulenburg und Richard Dehmel. Daneben auch zeitgenössische Autoren wie Gisela Heller, Günter Grass, Volker Braun Landolf Scherzer, Martin Buchholz, Sibylle Berg und Alexander Osang. Beiträge von über 100 Autoren haben die Herausgeber zusammengetragen, Antje Rávic Strubel ist aber leider nicht mit dabei.

Aber es geht ja auch um einen historischen Blick auf Brandenburg. Dafür aber zeitgemäß korrekt in den Landesgrenzen von 1990, doch seinen Anfang nimmt das Buch beim „märkischen Urschleim“, und wie dieser Gestalt annimmt. Ein wenig verwundert ist man schon ob dieser Formulierung in der Kapitelüberschrift. Doch nach wenigen Zeilen wird klar, dass dieses Hausbuch sich nicht trocken durch literarische Texte quält, sondern auch mit Humor zu punkten versteht. „Als das Eis schmolz, legten die Gletscher an ihren Rändern zu dem zusammengestauchten Erdreich alle ihre Mitbringsel aus der Ferne ab. Die vielen brandenburgischen Seen sind, falls es sich nicht um abgesoffene Braunkohletagebaue handelt, jene Löcher, in denen spitze Gletscherreste versanken“, steht da beispielsweise über die Eiszeit und deren Auswirkungen in diesem, unserem Landstrich.

Es sind gerade einmal zweieinhalb Seiten, auf denen ein paar Erdenzeitalter auf diese lakonische Art abgehandelt werden, aber sie genügen, um von diesem Lesebuch gepackt zu sein. So durchstreift der Leser blätternd das Brandenburger Land, liest, dass der Uckermärker eine äußerste „Zähigkeit im Festhalten des Althergebrachten in Sitte und Brauch, in Kleidung und Gewohnheit, die hartnäckige Absperrung gegen alles Neue, Ungewohnte, Nicht-Überlieferte“ an den Tag legt und liest, dass einst ein Riesenkönig über die Prignitz herrschte, der sich mit dem wohlklingenden Namen Hinz schmückte.

Wer also ein wohlgeordnetes und vor allem ernsthaftes Kompendium über Brandenburg in Prosa und Gedicht erwartet, sollte von diesem Hausbuch die Finger lassen. Wer aber Überraschungen mag, auch ein wenig die Verwirrung schätzt und sich launisch durch die Orte und Geschichten dieses Landes lesen will, dem kann die Lektüre nur empfohlen werden.

Erik Gloßmann und Bernhardt Rengert (HG.): Brandenburgisches Hausbuch. Geschichten und Gedichte, Erinnerungen und Berichte aus dem Land Brandenburg, Husum Verlag 2013, 576 Seiten, zahlr. Abb., gebunden, 19,95 Euro

Dirk Becker

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