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Kultur: Leben ohne das Carnegie-Hall-Konzert schwer vorstellbar

Andrej Hermlin lässt das legendäre Konzert mit Benny Goodman am Montag im Nikolaisaal wieder aufleben

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Andrej Hermlin lässt das legendäre Konzert mit Benny Goodman am Montag im Nikolaisaal wieder aufleben Von Sonja Lenz „Ich habe mich nicht verkleidet, ich sehe immer so aus“, lacht der Swing-Musiker Andrej Hermlin. Der maßgeschneiderte Anzug, der Bogart-Hut, der Nostalgie-Haarschnitt, die Art-Deco-Möbel in der Pankower Wohnung und die beiden amerikanischen Vorkriegs-Oldtimer in der Garage passen zum Image. Ein Besuch bei dem erfolgsverwöhnten Big-Band-Leader führt zurück ... ... vielleicht ins Jahr 1938. Zu den frenetisch jubelnden New Yorker Teenies, die Benny Goodmans Carnegie-HalI-Konzert zum Meilenstein der Jazzgeschichte erklärten. Andrej Hermlin wäre gern dabei gewesen an dem Abend, an dem der Swing erstmals in den Tempel klassischer Musik einzog, an dem Jazzstars wie Count Basie, Gene Krupa, Teddy Wilson, Lionel Hampton, Lester Young und Harry James gemeinsam auf der Bühne standen. „Nie wieder hat Benny Goodman ein solches Orchester gehabt. Es war der Höhepunkt der Swing-Ära“, schwärmt der Pianist. Am Montag, 20 Uhr, will er das legendäre Konzert im Nikolaisaal wieder aufleben lassen. Mit seinem Swing Dance Orchestra und dem New Yorker Klarinettisten Dan Levinson spielt er die Originalarrangements der Klassiker wie „Stompin'' at the Savoy“, „Flying Home“, „Sing Sing Sing“ oder „I Got Rhythm“. „Benny Goodman war einzigartig, ein Genie. Dieser Abend ist unsere Liebeserklärung an ihn“, sagt der Sohn des berühmten Schriftstellers Stephan Hermlin. Nach alten Originalfotos hat sich die Band für das Konzertprojekt zweireihige Smokings mit weiten Hosenbeinen und breiten Revers schneidern lassen. Hermlin will der Atmosphäre des New Yorker Abends möglichst nahe kommen, ohne die Stücke Note für Note zu kopieren. Es bleiben kleine Freiräume für Improvisationen. Der Mitschnitt von Benny Goodmans Carnegie-Hall-Konzert gehört bis heute zu den meistverkauften Jazzplatten. Wenn Goodmans Tochter 1950 nicht zufällig in einem Schrank einen Stapel alter Matrizen gefunden hätte, hätte es das berühmte Album allerdings nie gegeben. Beinahe hätte der ganze Abend nicht stattgefunden. Benny Goodman scheute sich, in dem hehren, klassisch geprägten Rahmen aufzutreten. Der Klarinettist musste zu dem Konzert seines Lebens überredet werden. Andrej Hermlin ist dem Altmeister dankbar für seine Entscheidung. Für ihn ist ein Leben ohne das Carnegie-Hall-Konzert schwer vorstellbar. Auf die Blütezeit des Swing in den dreißiger Jahren hat er sich längst spezialisiert: „Seit ich denken kann, ist der Swing wie ein Körperteil von mir“, erklärt der Musiker. „Ich bin auf die Welt gekommen, um Swing zu spielen. Ich würde keine andere Musik machen - dann würde ich eher Taxi fahren oder Kisten stapeln.“ Mit drei Jahren hat er zum ersten Mal eine Aufnahme von Benny Goodman gehört. Nur fünf oder sechs Jazzplatten gab es im klassisch orientierten heimischen Plattenregal, aber Andrej Hermlin war sofort elektrisiert. Der Swing hat ihn früh gepackt und nie wieder losgelassen, auch wenn er in seiner Jugendzeit für seine Liebhaberei nur belächelt wurde. Während des Klavierstudiums an der Eisler-Hochschule gründete er seine erste Band. Nur wenige Neugierige kamen zum Debut im Club der Bauarbeiterjugend. Hermlin muss schmunzeln, wenn er an den Abend und die 17,50 Mark Honorar denkt: „Es gab in der DDR die Dixieland- und die Free-Jazz-Fraktion. Als Swingmusiker war man ein Außenseiter.“ Trotzdem hat er sich nie beirren lassen. Zu seinen Ansichten zu stehen, hat er von seinem Vater gelernt. Die Familie war in der DDR privilegiert, durfte in den Westen reisen, wurde aber auch argwöhnisch bespitzelt. Noch 1996 fielen alte Wanzen aus dem Sessel. Andrej Hermlin machte Schlagzeilen, als er mit seiner Band beim Staatsempfang zum 40. Jahrestag der DDR aufspielte - und eine glühende Rede als Perestrojka-Verfechter hielt. Statt des drohenden Berufsverbots folgte die Wende - und Hermlins Swing-Orchester startete international durch. Dank des Swing Revivals ist es zwischen New York, Hongkong, Brüssel, Zürich und London gefragt. Dreimal hat die Band bereits in Amerika gastiert. Sie spielte vor 3000 Fans zum „Midsummer Night Swing“ auf der Lincoln Plaza und im legendären Rainbow-Room des Pennsylvania-Hotels. In New York hat Andrej Hermlin sogar zwei gute Freunde, die noch mit Benny Goodman gearbeitet haben. Allein die Vorstellung, Menschen die Hand zu schütteln, die sein Idol berührt haben, jagt ihm einen Schauer über den Rücken. „Ich bin jetzt 38, und alle meine Träume sind wahr geworden. Dazu haben sich noch ein paar Träume erfüllt, die ich gar nicht hatte. Das ist mehr, als man vom Leben erwarten kann.“

Sonja Lenz

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