Kultur: Leben und leben lassen
Das Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ startete in diesem Jahr furios und originell. Aber auch mit einem Appell an die Politik
Stand:
Die Geschichte ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Der kleine Julian wird von seinem Lehrer zum Rektor geschickt, weil er gepetzt hat. Das findet er nicht fair, schließlich hatte er nur gesagt, dass ein Mitschüler seine Sitznachbarin ärgert. Doch das Leben sei eben nicht fair, bekommt er zu hören. Zufällig erlebt Julian vor dem Büro des Schulleiters eine peinliche Szene mit. Der Rektor war beim Schäferstündchen mit einer Kollegin überrascht worden. Jetzt kommt alles anders als erwartet. Am Ende ist Julian es, der vor der ganzen Schule gelobt wird, weil er hingeschaut hat, als Unrecht geschah. Das Leben kann also doch fair sein. Manchmal zumindest.
Der australische Kurzfilm „Julian“ (Regie: Mathew Moore) zeigt auf treffende Weise, wie man die großen Fragen nach Gerechtigkeit auch ohne erhobenen Zeigefinger und mit einem Augenzwinkern rüberbringen kann. Das fand auch das Publikum des Studentenfilmfestivals der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) „Sehsüchte“: Spontane Begeisterung gab es zur Eröffnung im übervollen Thalia-Kino für einen Film, der manchen sicherlich an die ein oder andere unfaire Situation in der eigenen Schulzeit erinnert haben mag.
So wie der polnische Film „Frozen Stories“ (Regie: Grzegorz Jaroszuk) manch einen vielleicht auch an den eigenen Arbeitsalltag erinnert. Der Job im Supermarkt ist alles andere als schön und einfach. Ein Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin werden von ihrem Chef als die schlechtesten Angestellten bewertet. Doch er feuert sie nicht. Der Vorgesetzte hat, kurz vor seiner Pensionierung, eine Mission. Die beiden phlegmatischen Mitarbeiter sollen sich ein Ziel setzen. So landen sie in einer TV-Show, in der die unglücklichsten Menschen gekürt werden. Darin sollen sie nun gut sein. Was ihnen auch gelingt. Und am Ende wird aus der Traurigkeit ein zartes Lächeln der Zweisamkeit. Auch in „Frozen Stories“ (Samstag, 21 Uhr, Thalia 2) zeigt sich das Leben von einer besseren Seite, als im ersten Moment gedacht. Stellenweise sarkastisch, dann wieder ins Absurde eines Daniiel Charms driftend, ist der Film eine willkommene Abwechslung zu dem üblichen Fernseh-Krimi-Vorabend-Einerlei: erfrischend optimistisch.
So wie auch das „Sehsüchte“-Festival am Dienstagabend mit einem frischen und furiosen Auftakt gestartet war. Cool, originell, genial und überraschend war von der Politik und der Filmwelt nach dem von rund 400 Gästen besuchten Festakt zu hören. Ideen muss man haben, so wie die mit dem Drink für alle, der als Überraschungscoup unter die Sitze geklebt war. Während der offiziellen Reden war dann auch so einiges Flaschengeklapper im Dunkeln zu hören. Kulturministerin Sabine Kunst fand das wunderbar: „Wo bekommt man schon gleich zur Eröffnung einen Schnaps?!“ HFF-Chef Dieter Wiedemann wollte das dann aber doch etwas relativieren: „Wir schaffen das auch ohne Whiskey ganz gut.“ Was die Gäste der chinesischen Filmhochschule Beijing allein schon wegen der Sprachbarriere sicher nicht verstanden. Und an dem Rosé-Sekt, den es zum Intro gab, hatten sie sichtbar großen Gefallen gefunden.
Passend dazu lief dann das Video zu dem Song „Legacy“ (deutsch: Vermächtnis) der Band Alcoholic Faith Mission (Samstag, 22 Uhr, Thalia 1). Wobei der Alkohol nur den Bandnamen ziert. In dem Video lässt ein junges Mädchen die verschiedenen Möglichkeiten eines Begräbnisses für ihre verstorbene Maus Revue passieren. Am Ende bahrt sie das leblose Mäuslein auf ihrem Nachttisch auf – sie zollt dem vergangenen Leben den größtmöglichen Respekt.
So viel Respekt, wie auch die Filmwelt diesem kleinen, großen Potsdamer Filmfestival mittlerweile entgegenbringt. Sagte doch der Programmmacher der Berlinale, Thomas Hailer, zur Eröffnung, dass die „Sehsüchte“ mit ihrem Nachwuchs eine der Grundlagen für die Berlinale bilden. Wiedemann sieht hier auch eine politische Aufgabe: Wer die Kreativität der jungen Filmemacher betrachte, müsse begreifen, dass die Zukunft des Landes in der Ausbildung des Nachwuchses liege. Ministerin Kunst habe dies im Gegensatz zu einigen ihrer Ministerkollegen verstanden, sagte Wiedemann mit Blick auf die Sparmaßnahmen bei den Hochschulen.
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