Kultur: Lebendig tot
„Freunde meiner Freunde“: Der Armenier Ohannes Tapyuli gibt ermordeten Sinti und Roma ein Gesicht
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Die Gesichter sind wie ein Hauch. Doch ihre Intensität lassen den Atem stocken. Mit geschlossenen Augen schauen sie in ihr Inneres: Man spürt den Schmerz, die Verlorenheit und auch die Kraft, die zu verschwinden droht. Ein Moment zwischen Leben und Tod. Anklage, Liebe, Ohnmacht. „Freunde meiner Freunde“ hat Ohannes Tapyuli diese Arbeit genannt, die ab morgen um 17 Uhr in der Galerie Töplitz zu sehen ist. Die großen Fenster des Raumes sind mit Spanplatten zugenagelt, das äußere Licht wird ausgesperrt. Die zehn Köpfe leuchten in ihrer eigenen Stärke. Das reine Weiß, auf das sie ihre Schatten werfen, steht im spannenden Kontrast zu den unverputzten Klinkerwänden. Auch hier ist nichts zugetüncht.
Mit dieser ersten Ausstellung der Galeriesaison erfüllt sich Marianne Kreutzberger vom Havel-Land-Art-Verein einen ganz persönlichen Wunsch. Die Bilder von Ohannes Tapyuli waren für sie ein Schlüsselerlebnis, das ihr Interesse für die Bildende Kunst entfachte. Das liegt 20 Jahre zurück. Damals wurde im Schloss Charlottenburg die Ausstellung „Das andere Land“ mit Arbeiten von in Deutschland lebenden nichtdeutschen Künstlern gezeigt. „Vor den Bildern von Ohannes waren große schwarze Trauerkreuze aufgestellt, so dass man sie kaum sehen konnte. Mich ärgerte dieses Verstecken und ich dachte, das sei eine Arroganz des Künstlers.“ Doch in Ohannes Tapyuli machte sich vielmehr Wut breit. In seiner ausgehängten Vita wurde er zu einem Türken abgestempelt. Man wollte ihm seine armenische Herkunft absprechen. „Durch die aufgestellten Kreuze sollten auch meine Bilder leiden.“ Als sein Bruder zur Eröffnung kam, band er sich Rücken an Rücken mit ihm zusammen, so wie es einst die armenischen Frauen taten, um dann ins Wasser zu springen und zu ertrinken – bevor sie von ihren türkischen Peinigern vergewaltigt werden konnten. Der Genozid hat sich tief eingeschrieben. „Wir leben in Deutschland und dennoch kann die Türkei so viel Einfluss nehmen, dass meine Vita verändert wird.“ Für Ohannes Tapyuli ist es unvorstellbar, dass dieses Land Mitglied der EU werden könnte. „Dann reise ich nach Amerika aus.“
Eigentlich möchte der Künstler nicht, dass allzu viel über sein Leben geschrieben wird. Die Bilder sollen für sich sprechen. Und doch gehört beides zusammen. Werke mit dieser Intensität können wohl nur entstehen, wenn die eigenen Knochen die Schmach des Ungewolltseins bedrohlich erspürt haben. Er war gerade mal sieben Jahre alt, als er versteckt auf einem LKW aus seinem westarmenischen Dorf in der Osttürkei nach Istanbul floh – dort, wo auch andere Religionen geduldet wurden. Als Christ und damit Außenseiter unter den Moslems fühlte er immer, dass er nicht gemocht wird. In Istanbul nahm ihn ein Priester in seine Obhut: Der nachts vor Heimweh in die Kissen weinende Ausreißer besuchte eine Internat zusammen mit anderen armenischen Kindern. „Nun war ich frei – hinter Mauern.“ Zwei Jahre später kam seine Familie nach. So wie er sie auch nach Braunschweig nachkommen ließ, wo er sieben Jahre an der Kunsthochschule Dozent war, dann aber das ganze Beamtentum an den Nagel hing, um wieder unabhängig zu sein.
Familie und Freiheit sind zwei wichtige Pfeiler in seinem Leben, die ihn eng mit den Sinti und Roma verbinden. Wie auch sein Aussehen. Das wurde ihm klar, als er 1996 an der Umgestaltung der Gedenkstätte Buchenwald mitarbeitete. „Ich stand vier Meter hoch auf der Leiter, um an meiner ,Europawand“ zu arbeiten, die die internationale Dimension des Grauens zeigen sollte. Eine Historikerin kam zu mir und ihr fiel eine Mappe aus der Hand. Ganz viele Fotos lagen nun verstreut auf der Erde. Für einen kurzen Moment dachte ich aus der Entfernung, das sind Fotos von meiner Familie.“ Doch all“ diese Passfotos stammten von Sinti und Roma, aufgenommen, kurz bevor sie ins Lager kamen. „Sie hatten sich alle noch hübsch gemacht, sicher weil ihnen irgendeine falsche Geschichte erzählt worden war. Die Jüngeren lächeln, während die Älteren wohl schon Böses ahnen. So jedenfalls lese ich es in den Gesichtern.“ Seine Arbeit in Buchenwald, der Geruch der Kleidung und Zähne von den ermordeten Häftlingen, brannte sich ein. „Nichts in meinem Leben hat mich mehr betroffen gemacht.“ Er organisierte sich die Originalfotos der Sinti und Roma aus Archiven und machte sich an die Arbeit, schloss den Menschen ihre Augen – gab ihnen eine Aura zwischen Leben und Tod. „Dennoch bleiben sie für jeden wiedererkennbar.“ Er porträtierte sie ohne Stift: nur mit den Schattenwürfen gefalzter und geklebter Pappfetzen, über die er eine Folie legte, wie eine zarte Haut: Erinnerungen – bewahrt für die Ewigkeit. „Ich spürte, dass man etwas besser bewältigt, wenn man für die Sache auch etwas tut. Das ist die politische Ebene. Aber ich liebe auch einfach dieses Volk, seitdem ich in Istanbul in einem Zigeunerviertel lebte. Die Menschen sind zwar schmutzig wie die Nacht, aber ihre Augen leuchten mit 1000 Watt. Und ihr großzügiges, hartes Leben hat auch viel mit dem Künstlerdasein gemein. Für sie zählt nur das Heute und Jetzt.“ Eine Unabhängigkeit, wie er sie selbst so mag, aber nicht immer leben kann. Schließlich wollen auch die zwei Töchter ernährt werden.
Während die „Freunde meiner Freunde“ ihre Augen geschlossen halten, schauen „Die anderen“ mit sehr großen, fragenden Augen aus ihren Schachteln: 500 Gesichter in Paketen verschnürt, sind in der Galerie auf Umzugskartons übereinandergestapelt, eingefasst von Fußspuren, wie Abdrücke im Schnee. Morgen können sie schon geschmolzen sein. Diese Arbeit erzählt von Zwängen und Beschränkungen, wie sie überall auf der Welt passieren. „Vier Millionen Irakis sind derzeit heimatlos unterwegs. Und wie viele Afrikaner wurden in Cadiz schon tot an den Strand gespült?“ Der emotional so verwundbare und gleichzeitig so erfrischend-fröhliche Armenier hält seine eigenen Augen weit geöffnet, lebt als Christ die Sorge um den Nächsten. In jedem seiner aufgetürmten Pakete sind acht Personen verschnürt. Nur zwei sind sichtbar. Sechs werden geopfert. Ein Zeichen des Christentums, wie auch die Kreuz-Verschnürung. Wer sind diese Anderen? Ohannes Tapyuli lässt sie wie hinter einem Schleier verschwinden. Doch jeder könnte diese Schleier entfernen.
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