zum Hauptinhalt

Kultur: Leise Töne in einer lauten Welt

Pepe Planitzers „AlleAlle“ eröffnete das einwöchige Berlinale-Nachspiel im Filmmuseum

Stand:

Die Bären sind abgeräumt, der rote Teppich eingerollt. Und doch flackert ein kleines Berlinale-Feuer munter weiter. Es wurde am Montagabend im Potsdamer Filmmuseum noch einmal liebevoll geschürt. Eine gut aufgelegte „Elf“ war angereist, um mit dem Film „AlleAlle“ zum Nachspiel anzutreten. Die Zuschauer füllten fast alle Plätze, doch Schlangestehen musste keiner.

Für Regisseur Pepe Planitzer war es fast wie bei einem Heimspiel. „Es ist schön, hier zu sein: Potsdam ist mir sehr vertraut,“ sagte der ehemalige HFF-Student im Anschluss an die Aufführung. Und das Publikum dankte ihm und seiner großen Mannschaft mit viel Beifall für diesen einfühlsamen Film. „AlleAlle“ schaut hin, wo andere wegsehen. Er wendet sich den Außenseitern zu. Da ist der geistig behinderte Hagen. Ein Baum von einem Mann, doch alleine wäre er verloren. Er reist aus der Nervenklinik zu seinem Onkel, der sich künftig um ihn kümmern soll. Doch kein Onkel ist weit und breit zu sehen. Der hat sich mit dem Pflegegeld davon gestohlen. Zum Glück fällt Hagen dem einsamen Domühl in die Arme oder besser dessen kaputtem Auto vor die Füße, das Hagen kilometerweit schiebt. Domühl bittet den so schweigsamen Mann schließlich dankend ins Haus. Er hat sich trotz Alkohol im Übermaß noch nicht die Sinne der Nächstenliebe vernebeln lassen. „Der nichts mehr hat, kann alles geben“, ist eine Erfahrung in diesem Film. Und Domühl hat weniger als Nichts. Er ist mit Schulden überhäuft. Doch er hat Fantasie. Und seine Liebe zu der schönen Ina, die gerade aus dem Gefängnis entlassen ist.

Ein skurriles Trio, das sich da gefunden hat, eines zum Gernhaben. Und so fiebert man mit, ob die drei unter die Räder geraten oder doch eine Nische in dieser lauten Welt für sich finden. Pepe Planitzer, der fast ohne Geld, dafür aber mit umso mehr Enthusiasmus diesen Leisetreter berührend, aber nicht rührselig in die Landschaft des Flämings stellte, gelang eine Ode an die Menschlichkeit. Eberhard Kirchberg gibt seinen Hagen mit offenem Staunemund, dem das Zwitschern der Vögel ein Lächeln ins Gesicht zaubert, der aber auch bei drohender Gefahr für seinen Freund die Fäuste ballt. Es ist ein verrücktes Gespann, das sich am Abgrund entlang hangelt und doch den goldenen Herbst für sich findet. Fast wie ein Märchen, das der sozialen Kälte trotzt und einen warmen Wind durch das Kino wehen lässt.

Milan Peschel als bankrotter Gerüstbauer Domühl ist ein quirliger, sympathischer Typ. Er hat sich in seiner vom erfrorenen Vater geerbten Militäranlage einen kleinen Spielplatz geschaffen: Mit eigenhändig gebauten Autos aus Holz. Eines davon schenkt er Ina. Und sie liebt ihn dafür, denn sie sieht, dass sich hinter der Alkoholfahne eine sehr sensible Seele verbirgt. Marie Gruber gibt dieser Ina melancholisch-nachdenkliche, aber auch ganz heitere-couragierte Züge. Man erfährt wenig über sie. Warum sie im Knast war, und auch nicht, warum sie wieder in den Knast kommt. Hat sie wirklich zugestochen, als es zur Prügelei kam? Die Kamera verschweigt es. Am Ende des Films ist Ina wieder in der Freiheit. Keiner weiß, wieviel Zeit inzwischen verstrichen ist. Hagen wohnt noch immer mit Domühl zusammen. Werden sie zu dritt weiterleben? Man wünscht es ihnen.

Die Kamera holt die Gesichter ganz dicht heran, jede Regung wird spürbar. Es gibt viel Zeit zum Schauen, Zeit für eigene Gedanken. Und auch die Musik ist nur eine sanfte Wiege, die vorsichtig die Worte und Bilder weiterträgt.

Noch hat „AllesAlles“ keinen Verleih. Doch Pepe Planitzer hofft, dass er „einen aufrechten Menschen findet“, der mit ein paar Kopien seinen Film ins Kino bringt. „Noch sind wir ganz in der Berlinale-Aufregung. Drei mal ist er dort in der ,Perspektive Deutsches Kino“ gelaufen. Die Leute haben gelacht und geweint. Es war sehr schön. Wir sind noch immer am Staunen, was wir gepackt haben. Fast ohne Geld, aber alle haben mitgemacht, weil sie es wollten.“ Der Szenenbildner habe aus dem Nichts die Szene gebaut und auch die Kostümbildnerin musste zaubern. „Und wie macht man die Kamera ohne Geld? In dem man sich die Lampen selber baut.“ Offensichtlich war dieser Mangel die richtige Voraussetzung, um dem wahren, einfachen Leben auf die Spur zu kommen.

In dem bis 24. Februar laufenden Berlinale-Nachspiel im Filmmuseum ist heute um 18 Uhr „Was am Ende zählt“ von Julia von Heinz zu sehen und um 20. 30 Uhr „Von einem der auszog. Wim Wenders frühe Jahre“, Regie Marcel Wehn.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })