Premiere am Hans Otto Theater: Liebe im Ausnahmezustand
Närrisches gab den Ton an: Die Premiere von Shakespeares „Was ihr wollt“ am Hans Otto Theater.
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Loriot lässt grüßen. Das Vorspiel spielt im Theater. Auf drei Stuhlreihen platzieren sich nach und nach ankommende Zuschauer. Sie fühlen sich vom Nachbarn gestört, befürchten eine schlechte Sicht. Man wechselt ständig die Plätze, beäugt missmutig die anderen. Dann stellt sich ein junges Paar ein. Der Mann hat Freude am Anbändeln und darüber hinaus. Doch diesem Gefühl der Lust schließt sich die Frau zunächst nicht an. Vermeintlich. Die Zuschauer auf der Bühne bleiben nun nicht mehr Beobachter, sie werden zu Mitspielern. Es ist eine Spaßgesellschaft, die sich gut im Lieben gefällt, auch wenn das oftmals auf Kosten der Mitmenschen geht.
Am Hans Otto Theater inszenierte Regisseur Michael Talke pünktlich zum 450. Geburtstag William Shakespeares am 26. April dessen letzte Komödie „Was ihr wollt“, die 1602 auch unter dem Titel „Die zwölfte Nacht“ gespielt wurde. Mit ihr wurden die rauen Nächte, also die Winterwochen zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag, vertrieben und der Frühling begrüßt. Das ist vergleichbar mit dem, was uns als Karneval überliefert ist, eine Zeit, in der das Konventionelle in sein Gegenteil verkehrt wird, die Zeit, in der das Närrische den Ton angibt. In „Was ihr wollt“ ist Narrheit Prinzip. Der Narr aber ist der einzige Träger der Vernunft.
Nach dem „Vorspiel“ wird man auf der HOT-Bühne abrupt ins Fantasie-Land Illyrien gespült, dessen Herrscher Orsino ist. Viola konnte sich hierher nach einem Schiffsbruch ohne ihren Zwillingsbruder Sebastian retten. Sie erlebt, verkleidet als junger Mann und angestellt als Liebesbote des Herzogs, liebestolle Menschen, zu denen sie sich schließlich selbst begibt. Herzog Orsino verzehrt sich nach Olivia, Olivia verschmäht ihn, verliebt sich aber in Viola, die sich als Cesario ausgibt. Viola verliebt sich in Männerkleidern in den Herzog. Antonio, ein Schiffshauptmann verfolgt den geretteten Sebastian in Liebe. Sebastian liebt Olivia und wird von ihr geliebt. Der Haushofmeister Malvolio möchte Olivia lieben, und Sir Andrew wäre auch gern deren Liebhaber Die Liebe im Ausnahmezustand also. Nur der Narr hält sich klugerweise da raus.
Kann man Liebe erklären? Natürlich nicht. Auch Talke hat dazu keine Ambitionen. Er bringt sie als ein wogendes Auf und Ab der Gefühle auf die Bühne, das mancherlei groteske Blüten treibt. Und davon hält die Inszenierung einen großen Korb bereit, der fast zum Überlaufen gefüllt ist. Komödianten wie Jon-Kaare Koppe als Trunkenbold Sir Toby und Onkel der Olivia, Wolfgang Vogler als Sir Andrew, ein gutmütiger Blödian der Extraklasse, sowie Zora Klostermann als gewitzte Zofe Maria fassen in diesen Korb tief hinein. Wenig wird ausgelassen, was zum vermeintlich komisch-derben Standardrepertoire gehört. Dessen ausgestellte Oberflächlichkeit hat aber den Hang zu nerven. Da hilft auch kein Zitat aus dem Fernseh-Silvester-Klassiker „Dinner for one“.
Auch Olivias puritanischer Haushofmeister Malvolio gehört zum lustigen Personal. Doch die Figur ist mit einem Schuss Tragik bedacht. Sie wird Opfer einer Intrige Sir Tobys und dessen Helfern Sir Andrew und Maria. Christoph Hohmann macht aus dem großen Malvolio-Monolog, in dem sein Verliebtheitswahn und seine kleinbürgerlichen Machtgelüste besonders deutlich werden, zu einer Paradenummer der Darstellungskunst, die am Premierenabend zu Szenenbeifall herausforderte. Das Spiel mit dem Quälen dieses Unbeliebten geht so weit, dass man ihn einsperrt. In einem großen Karton. Verständlich, dass er zum Schluss das ganze Pack zum Teufel wünscht.
Dem Stück die Balance zwischen derber Komik und zarter Melancholie zu geben, ist auch in dieser Komödie nicht leicht. Michael Talke bleibt aber allzu oft im ausgedehnten Ulk und in kaum nachvollziehbaren Handlungsschleifen hängen. Bis zum Schluss. Da wird man ein Happy End vergeblich suchen. Die Verwirrungen könnten von vorn beginnen.
Schön, dass auch Figuren an dem Verwechslungsspiel beteiligt sind, denen man den Wunsch nach echten Liebesbeziehungen abnimmt, von der herb-schönen Viola (Patricia Carlucci), von der um die Trauer über ihren verstorbenen Vater und Bruder angeblich der Liebe abschwörenden kühlen Olivia (Christina Pauls) und in Maßen auch vom selbstverliebten Schwerenöter Orsino, gespielt von Dennis Herrmann. Durch sie erhält die Inszenierung einen Hauch Melancholie. Carlucci und Pauls warten sogar mit ein paar leisen Tönen auf. „Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, so spielt sie fort“ – frei nach dieser berühmten Textstelle durchbricht Rita Feldmeier als Narr souverän ebenfalls das turbulente Treiben mit softigen Vertonungen von Liebessehnsuchtssongs (Marc Eisenschink). Sie wurden zu Oasen der Nachdenklichkeit und des Ungekünstelten. Der Narr gibt der Spaßgesellschaft ein paar Denkmomente.
Gespielt wird auf einer leeren Bühne, denn Shakespeare waren Dekorationen heutiger Prägung fremd. Talke ließ sich von dem Bühnenbildner Hugo Gretler silbern schimmernde Plastik-Vorhänge „bauen“, die den Raum abschließen oder teilen, Vorhänge, in denen sich raue Späße oder krasse Verwirrungen der Gefühle abspielen. Darüber hängt eine bunte Kostümmischung (Marialena Lapata) wie Festgirlanden aus der Renaissance, des Barock und unserem Heute. Aus deren Fundus bedienen sich die Darsteller.
Zum Schluss hat die Bühnen-Personage die Zuschauersitze wieder eingenommen und staunt über so viel Liebeslust und -müh in zweieinhalb Stunden. Loriot war längst verabschiedet. Aber vielleicht hätte der geistvolle Witz des großen Komikers der Inszenierung ein Stück aufgeholfen.
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