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Von Heidi Jäger: Lieber bewegt als langweilig

„Nach vorn“: Skulpturen und Skizzen der chilenischen Künstlerin Alejandra Ruddoff im Alten Rathaus

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Auf dem ersten Blick scheint dieser Koloss nicht recht zu der zarten Frau zu passen. Doch wenn Alejandra Ruddoff zu erzählen beginnt, weiß man, dass in ihr ebenfalls ein Koloss steckt: ein Riese an Temperament und Energie. Der bricht sich charmant und ungezügelt Bahn und es wundert nicht, dass er andere mit Haut und Haar verschlingt.

Mit ihrer Skulptur „Nach vorn“ an der Humboltbrücke, die inzwischen zum neuen Wahrzeichen und Hochzeitsfoto-Motiv der Potsdamer geworden ist, kehrt die Künstlerin ihr bewegtes Innere nach außen. Und das braucht Platz. Immer wieder. Alejandra Ruddoff zieht es nach vorn – so wie ihre nimmermüde muskelbepackte Arbeiterskulptur, die sich nicht vom Getriebe der Zeit zermalmen lässt. „Lieber ein bewegtes, als ein langweiliges Leben“, sagt die Künstlerin, die gerade wieder an einem Wendepunkt steht. Wie einst ihre italienischen Großeltern, die zuversichtlich den großen Teich nach Chile überquerten, um ein neues zu Hause zu finden, zieht es die Enkelin nun in entgegengesetzte Richtung. Da ihre beiden Kinder inzwischen eigene Wege gehen, verkaufte sie ihr Haus in Santiago, gab die Sicherheit zweier Hochschul-Professuren auf und zog ins ungewisse Berlin. Gewiss ist für die 49-Jährige derzeit nur, dass sie ab heute eine Ausstellung im Alten Rathaus Potsdam hat und auch die Stadt Wiesbaden von ihr eine Skulptur haben möchte. Und dass sie sich auf ihre Freunde in Deutschland verlassen kann.

Dazu gehört auch Jochim Sedemund von der „initiative pro schiffbauergasse“, der der Bildhauerin als Mitsponsor nicht nur finanziell unter die Arme greift, sondern ihr auch in seiner privaten Remise Platz zum Arbeiten einräumt. Und er glaubt an „Nach vorn“, der Skulptur, die immer noch ein Modell aus bemaltem Epoxidharz ist, doch irgendwann als Metallguss formvollendet erstrahlen soll. Die Vorarbeit dazu ist getan. Das in der Ausstellung im Alten Rathaus gezeigte etwa 3,50 Meter große Modell, das sie nach dem drei Mal größeren „Bruder“ an der Humboldtbrücke im VW-Design Center fertigte, ist digital vermessen und könnte sofort gegossen werden. Doch an die rund 400 000 Euro für den Guss sei derzeit nicht zu denken, räumt Jochim Sedemund ein. Er vertraut auf die „Kraft des Faktischen.“ Wenn die Skulptur, wie von den Stadtverordneten beschlossen, nach Fertigstellung der Humboldtbrücke an ihren ursprünglichen Platz zurückkehrt und zum Zentrum der Plaza de Chile wird, lässt sich wohl eher nach Sponsorenhänden greifen. Zumal die Plastik dann flaniert wird von Bäumen aus Chile, ein Geschenk, das vielleicht durch die Erinnerung der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet, die einst in Potsdam im Exil studierte, beflügelt wurde.

Begeistert redet Alejandro Ruddoff über die Förderung der Künstler in ihrer Heimat, die die graue Zeit der Militärjunta unter Pinochet von 1973 bis 1990 vergessen lässt. „Damals wurden viele Professoren an der Universität rausgeschmissen. Und es gab für die Studenten weder Modelle noch eine Heizung. Ich fühlte mich oft sehr allein in dieser unruhigen Zeit“, sagte Alejandra Ruddoff, die selbst keine persönlichen Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt hatte. „Ich war keine politische Aktivistin.“ Aber auch sie spürte die Angst, die die Soldaten mit Gewehren auf den Straßen schürten. „Auch wenn es nicht so war wie in Peking.“ Sie war froh, als sie 1987 zum DAAD-Studium nach München reisen konnte. Ihre sonst sehr toleranten und kunstliebenden Eltern befürchteten indes, dass die Tochter nicht wiederkommen könnte. „Aber es war für mich ein absolutes Muss, rauszugehen.“ Deutschland sei ihr nie fremd gewesen, und dass nicht nur, weil Chile mit seiner Ordungsliebe und Disziplin als das Preußen Südamerikas gilt. Der Vater redete in der Sprache seiner musikalischen Götter Bach und Mozart und sie selbst besuchte wie ihre drei Geschwister eine deutschsprachige Schule. In die Heimat wird es sie dennoch immer wieder zurückziehen. Das Gästezimmer im einstigen Nähstübchen der Mutter steht ihr offen.

In München begann Alejandra Roddoffs eigentliche künstlerische Entwicklung, die auch mit Preisen belohnt wurde. „Es war die schönste Zeit meines Lebens. Ich fand meinen ganz eigenen Weg, der nichts kopiert, inzwischen höchstens von anderen kopiert wird.“

Alejandra Ruddoff lässt sich nicht in eine Schublade stecken, wie die Ausstellung in Potsdam zeigen wird, in der sie auch mit neuen Arbeiten nach vorn blickt. Und mit denen sie weiterhin ihr wichtigstes Thema Bewegung und Zeit umkreist. Sie möchte mit ihrer Kunst wie eine Dichterin erzählen. Die Scheiben in „Nach vorn“ sind für sie wie die Ringe der Jahreszeiten in den Bäumen, Lebenskreise, die immer größer werden.

Sie arbeitet klein und groß und wenn es sein muss mit Massen von Holz, Marmor oder Beton. „Ich bin froh, dass ich die Energie dazu habe.“ Und selbst wenn sie sich bei der Arbeit, wie bei ihrer neuen zwei Meter großen Holzplastik „Transkription einer Leere“ die Hand schwer verletzte, nimmt sie das gelassen. So schnell sind Kraft und Willen nicht zu brechen. „Gerade jetzt, wo die Kinder groß sind, kann ich eine richtig große Scheibe von Geschichte bauen.“ Das treibt sie nach vorn. Mit dem Riesen an Temperament und Energie an der Seite.

Eröffnung heute um 17 Uhr im Alten Rathaus, obere Etage. Zu sehen bis 30. Dezember, Di bis So 10 bis 18 Uhr.

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