
© A. Klaer
Kultur: Lust, Frust und Bildungsdurst Heinrich von Kleist
war immer auf Achse
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Heinrich von Kleist gibt den Literaturwissenschaftlern noch immer Rätsel auf. Nicht mal wie er aussah, ist sicher. Nur ein einziges autorisiertes Porträt existiert von dem unkonventionellsten der bedeutenden deutschen Dichter. Außer seinen Schriften hat er nichts hinterlassen, keinen Hut, keinen Schreibtisch, nicht einmal ein Tintenfass. In keinem Haus wurde seine Klarinette aufgehoben. Als Erwachsener soll es ihn nie länger als 18 Monate an einem Ort gehalten haben. Auch ein neues Werk erforderte mitunter einen Umgebungswechsel, allerdings nicht immer freiwillig. So entstanden große Teile der „Marquise von O“ und der „Penthesilea“, Kleists dichterische Antwort auf Goethes „Iphigenie auf Tauris“, in französischer Gefangenschaft. Das berühmteste seiner Dramen, „Der zerbrochene Krug“ schrieb er in Berlin und die „Familie Schroffenstein“ im schweizerischen Thun, wo Kleist, beseelt von Jean-Jacques Rousseaus Ruf „Zurück zur Natur“ einen Bauernhof kaufen wollte.
„Unterwegs in Europa. Kleist Reisen 1801 bis 1810“ heißt deshalb die kleine Ausstellung des Kleist-Museums Frankfurt/Oder, die seit Montag in der Schule des Zweiten Bildungswegs „Grande Ecole“ zu sehen ist. Auf großen lachsfarbenen Tafeln folgt man den literarischen und biografischen Stationen des „armen Kauz aus Brandenburg“, wie sich Kleist selbst in einem Brief nannte, durch den Flur und ein Klassenzimmer der Kleist-Schule.
Die Briefe Kleists seien für die Forscher noch immer die größte Quelle, um etwas über sein Leben zu erfahren, so Wolfgang de Bruyn, Leiter des Kleist Museums in Frankfurt/Oder auf der Ausstellungseröffnung. Sie seien aber nicht immer die verlässlichsten. In den Briefen habe sich Kleist so gegeben, wie er von den anderen gerne gesehen werden wollte. Nie könne man sicher sein, dass der Dichter nicht an der einen oder anderen Stelle kräftig übertrieben oder gar gelogen habe. Es sei schwer, Kleist zu überprüfen, da viele Antworten und Reaktionen auf Kleists Briefe nicht erhalten sind. Liest man die Tafeln, auf denen Abschnitte und Aufenthaltsorte des Dichters zusammengefasst und nur mit ein paar Zitaten garniert sind, ist man sich nicht sicher, wer dieser Kleist war. Seiner Zeit voraus in seinen Werken und Ideen, pathetisch und besserwisserisch in seinen Briefen an die Verlobte Wilhelmine von Zenge, der er Denkübungen wie Hausaufgaben aufgab, scheint sein Lebenslauf der eines wankelmütigen Träumers gewesen zu sein. Er hat immer über seine Verhältnisse gelebt. Meistens war es seine Schwester Ulrike, die ihm Geld zusteckte und ihn oft auch auf Reisen begleitete.
Heute würde man Kleist ganz einfach einen Abbrecher nennen. Nachdem er seine Militärkarriere in Potsdam beendet hat, eine Zeit, die er als „sieben unwiederbringlich verlorene Jahre“ zusammenfasst, fängt er an zu studieren, bricht nach drei Semestern ab, bittet ein paar Jahre später um eine Beamtenstelle in Königsberg, bleibt dort, bis er es nicht mehr aushält, zuerst Urlaub beantragt und sich schließlich krank meldet. Ein denkender Mensch könne mit so einer Arbeit nur eingehen, schreibt er einem Freund. Aber auch aus dem Traum vom idyllischen Bauernhof wird nichts. Danach versucht sich Kleist drei Mal enthusiastisch an einer Zeitung: „Germania“ in Prag, den „Phöbus“ in Dresden und gründet mit den „Berliner Abendblättern“ noch ein Jahr vor seinem Tod Berlins erste Tageszeitung. Er scheitert. Mehrmals überlegt er, in Briefen dokumentiert, sich wieder zum Militär zu melden, um ehrenvoll in einer Schlacht zu sterben. Schließlich erschießt er sich 1811 als 34-Jähriger am Wannsee. Nein, Kleist hat sich nirgendwo zu Hause gefühlt, aber der „arme Kauz aus Brandenburg“ hat überall seine Spuren hinterlassen. Undine Zimmer
Noch bis 30. September in der Friedrich-Ebert-Straße 17, Mo.-Fr., 8-21.30 Uhr
, ine Zimmer
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