
© Andreas Klaer
Kultur: Macht’s euch hübsch!
Seit fast 30 Jahren gehört Andrea Meissner zum Potsdamer Kabarett – Ein Hausbesuch bei der Künstlerin
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Dieses Lachen! Oder besser „Lache“, wie man hierzulande schnodderich sagt. Ein schrilles Stakkato in einer Tonlage, über die sich jede Sopranistin freut. Jedenfalls scheint es Andrea Meissner auch privat anzuhaften und nicht nur ihre Kunstfigur, die „Gerüchtsvollzieherin“, reißt damit jeden aus seinem schlechte-Laune-Karma. Es kann schon mal sein, dass sie daran unterwegs erkannt wird. „Frau Meissner, Sie gehen auch bei Aldi einkaufen?“ sei sie mal gefragt worden. „Ja warum denn nicht“, war ihre Antwort. Im Meissnerschen Haushalt, wo sie zum Hausbesuch empfängt, werde ab sofort noch mehr gespart, gibt die Kabarettistin freimütig zu Protokoll. Sohn Felix studiert in Dänemark, die Ausbildung zum Charakteranimateur ist teuer, die Förderung seines Zeichentalents ihr aber eine Herzensangelegenheit. Überall im Haus hängen Zeichnungen, Gemälde, uralte Familienfotos in ausgesuchten Rahmen. Ein Egon Kameke, den sie auf einem Sperrmüllhaufen gefunden hat, ebenso wie die Likörette von Lindenberg. „Mein Sohn zeichnet zehn Stunden am Tag, will unbedingt mal zu Disney“, sagt sie.
Auch Andrea Meissner wusste frühzeitig, was sie wollte. „Dass ich lustig sein konnte, spürte ich mit 12 Jahren, damals im Pionierkabarett.“ Im Künstlerhaushalt ihrer Großmutter, einer Ballettmeisterin, gibt es immer Untermieter. Schauspieler, Sänger, jedes Wochenende geht es ins Theater oder die Oper. Sie macht ganz bodenständig nach der Schule eine Ausbildung in der Landwirtschaft und bewirbt sich dann an Schauspielschulen. Zwei mal rasselt sie durch die Prüfung, erst durch ihre Arbeit als Souffleuse am Theater ihrer Heimatstadt Rudolstadt bekommt sie einen Studienplatz in Rostock.
„Ich durfte aber keinem sagen, dass ich ans Kabarett wollte, das war verpönt“, sagt sie heute und lacht darüber. Dabei sei sie wie Gold gehandelt worden, sie war jung, frisches Blut für die meist älteren Herrschaften in den Ensembles. Ihr erstes Engagement ist bei den Kugelblitzen in Magdeburg, der Regisseur rät ihr bald, noch Gesangsunterricht zu nehmen. „Es gab noch keine Head Sets, man musste sich auf seine Stimme verlassen können“, erinnert sie sich. Die Kammersängerin Anneliese Rau zeigt ihr Bauchatmung und Koloratursingen, bis heute profitiert sie von diesen Fähigkeiten, wenn sie in ihren Programmen ein Lied nach dem anderen schmettert.
Seit 1982 ist sie in Potsdam. Ihren Regisseur aus Magdeburger Zeiten, Harald Siegfried Engelmann, hat sie schließlich geheiratet. Engelmann, wie sie ihn nennt, weil sich beide nicht auf einen seiner Vornamen einigen konnten, wird engster Berater und Muse, ihre Fundgrube, wenn es um Beziehungsthemen geht. Der fiktive Ehemann der Bühnenfigur Meissner, der dicke Rudi, muss herhalten für männliche Zipperlein und unschöne Alterserscheinungen. Aber „Engelmann“ trage es mit Humor, ist sie sicher. Oft sitzt er – manchmal überraschend – in der letzten Reihe im Saal des Kabarett Obelisk und gibt ihr wichtiges Feedback. Im kommenden Jahr wird die Meissner ihr 30-jähriges Potsdamer Bühnenjubiläum feiern, arbeitet bereits am neuen Programm mit dem Titel: „Jetzt schlägt’s 30 oder am Tag als Frau Meissner kam“. Dann sitzt sie konzentriert mit Hund und Katzen im Arbeitszimmer, sortiert ihre „Best Ofs“, und sucht nach neuem Stoff. Gern wird sie zotig und direkt, die Grenze zur Peinlichkeit scharf auslotend. Wer genau hinhört, wird dennoch merken: Andrea Meissner liegen auch ernsthafte, tiefer gehende Probleme am Herzen. Sie packt ihr politisches Kabarett in die Hülle der Kleinfamilie, der kleinsten Zelle der Gesellschaft. „Aber man kann ja so wenig ändern – ich sag immer: Macht’s euch hübsch und seid nett zu einander!“ Schwierig wird es, wenn sie von der Realität eingeholt wird.
Drei Tage nach der Fukushima-Katastrophe im März hatte sie Premiere und wusste nicht, ob und wie sie darauf eingehen sollte. Als einige Zuschauer Leuchtstäbe herausholten, reagierte sie spontan: „Ich sehe, sie haben Ihre Brennstäbe dabei!“ Genug, um daran zu erinnern, ohne Plattitüden zu liefern. Überhaupt muss sie spontan sein können: Die ersten zehn Sekunden einer Show, während sie das Eingangslied singt, nutzt sie zum „Abscannen“ ihres Publikums. Sucht sich ihr Opfer in der ersten Reihe, das dann zur Entschädigung für die aufgedrückte Mitarbeit am Eierlikör nippen darf. Nicht jedem gefällt das, aber sie habe auch schon mal nach der Vorstellung Blumen dafür bekommen.
So allein auf der Bühne steht sie noch nicht lange, viele Jahre hat sie mit ihrer Kollegin und Namensvetterin Tatjana Meissner als Duo gearbeitet. Aber immer nur über Sex reden, reduziert auf die dicke Naive, das wollte sie auch nicht. Nun ist sie seit fast einem Jahr Potsdams „Gerüchtsvollzieherin“, tratscht jenseits aller Schmerzgrenzen. Die Themen liest sie in ihrem Alltag auf, hat stets ein Notizbuch in Reichweite. Hemmungslos verballhornt sie Schlager und Neue Deutsche Welle mit witzigen Sprachschöpfungen und Umdichtungen, die praktisch jedes Zwerchfell erschüttern, oft kombiniert mit schrägen Outfits, da hat sie auch schon mal ein Huhn auf dem Kopf.
Ob es etwas gibt, was sie nicht tun würde? „Hotpants und lustige Tänzchen, das geht nun mit Cellulite nicht mehr“, sagt sie. Und keine Witze über Randgruppen, Stotterer, Rollstuhlfahrer. Sie hat jahrelang ihre gelähmte Mutter gepflegt, das ginge ihr zu nah – obwohl Behinderte einen großartigen Sinn für Humor haben, findet sie. Sie bleibt bei ihrer fiktiven Kleinfamilie, Mann Rudi samt adipöser, pubertierender Tochter Chantal. Ob etwas gut ankommt, spürt sie während der Vorstellung, notfalls wird improvisiert, muss der Mann an der Technik halt aufpassen. Liveauftritte mag sie mehr als fürs Fernsehen zu arbeiten, zu wenig Zeit zum Üben vor der Show, zu hektisch das Ganze. Sich auf vier Kameras gleichzeitig konzentrieren und vom Teleprompter ablesen, das sei zu stressig. Am liebsten sind ihr Auftritte in Potsdam und Umgebung. „Ist doch schön hier, viele Kinder und Schwangere, und wenn sich die Politiker jetzt noch über das neue Bad einigen könnten“
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