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Kultur: Märtyrerin oder Verbrecherin?

Am 24. September erlebt „Julia Timoschenko“ im neuen Hans Otto Theater ihre Uraufführung

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Alles ist Vermutung. „Diese Frau erfindet sich immer wieder neu – wie Eva Perron oder Madonna. Keiner kennt sie genau“. Was aber macht eine Regisseurin mit einem so schwammigen Medium, wie kann sie es dennoch zu einer blutvollen Figur auf die Bühne bringen?

Adriana Altaras hat sich für „Julia Timoschenko“ viele Denkmodelle überlegt, ohne am Ende sagen zu können: So ist sie. In der Uraufführung am 24. September im neuen Theaterhaus wird der Zuschauer also ermuntert, ein eigenes Bild zu entwerfen – von einer Frau, die sich selbst als Märtyrerin sieht, aber ebenso eine Verbrecherin sein könnte.

An einigen biografischen Anhaltspunkten der ehemaligen Ministerpräsidentin der Ukraine kann sich die Inszenierung indes entlang hangeln. „Man weiß, dass Julia Timoschenko ohne Vater aufwuchs und ihre Mutter in einer Taxizentrale arbeitete. Das Mädchen hatte sich dem Leistungssport verschrieben, bis sie mit etwa 12 Jahren vom Barren fiel und aufhören musste.“ Wie die Regisseurin durch ihre Recherchen ebenfalls weiß, habe Julia Timoschenko Wirtschaft studiert. Anschließend stieß sie in eine Marktlücke und organisierte Betriebe nach westlichem Modell um. Eine günstige Heirat trieb ihr einen reichen Schwiegervater zu, der sie protegierte. „Das war in der Zeit der Perestroika, in der sich die alten Strukturen auflösten und die Stadt von Clans organisiert wurde. Jedenfalls machte Julia Timoschenko bald ihre erste Million, auch durch ihre Videothek“, so Adriana Altaras. Später wurde sie zur Gasprinzessin, besaß das Röhren-Monopol: Das ganze russische Gas lief durch ihre Leitungen.

„Das Spannende ist nicht, ob wir alle biografischen Daten genau abdecken, sondern dass wir eine sehr vielseitige Persönlichkeit zeigen. Eine Frau, die es in einer Männergesellschaft von ganz unten nach ganz oben schaffte. Sie hatte dabei eine tolle Imageberaterin: Es gibt ein Foto von ihr mit dünnem, schwarzem Haar, inzwischen hat sie einen dicken blonden Zopf.“ Die Timoschenko selbst kehre gern ihre soziale Ader heraus, aber auch da wisse man nicht, ob das nur angeschafft sei. „Es kursieren ja die verschiedenen Theorien: Dass sie einsam ist und deshalb vom Volk gefeiert werden will.“ Bekannt ist nur, dass ihr Mann in London lebt und dass sie eine Tochter hat. „Vielleicht durchlief sie eine Veränderung, als man sie für 42 Tage ins Gefängnis steckte, sie enteignete und klein machen wollte.“ So recht kann die Regisseurin aber nicht an eine solche Wandlung glauben. Es werfe auch ein seltsames Licht auf die Politikerin, dass sie erst Ukrainisch lernte, als sie merkte, dass man sich damit profilieren kann. Auf jeden Fall überreichte man der als Ikone gefeierten Timoschenko den Orden der Warwara, einer Heiligen, die für ihren Glauben starb.

Den Text für diese Uraufführung hatte das Hans Otto Theater bei dem ukrainischen Autor Maxim Kurotschkin bestellt. „In seinem Stück erfährt man etwas über die ukrainische Gemütslage, aber weniger über die Figur. Der Autor meinte, dass man über eine lebende Person nicht erzählen könne, ohne in Klischees zu verfallen.“ So schrieb Adriana Altaras ebenfalls eine Stückvorlage und spielte ganz bewusst mit Klischees. Zudem erzählt sie wichtige Stationen des Lebens der Timoschenko nach. „Beide Texte sind gut mit einander verzahnt; mit einem Blick von innen und von außen.“

Die in Berlin lebende Regisseurin möchte eine Inszenierung zum Anfassen auf die Bühne bringen und zugleich eine Begehung des Theaters daraus entstehen lassen. „Schließlich erobern wir ein neues Haus.“ So wandern die Zuschauer an Orte der Timoschenko: in ihre Videothek, ins Gefängnis, auf den Platz der Orangen Revolution in Kiew. „Ich hoffe, dass das Thema stark genug ist und die Inszenierung nicht zerfasert.“ Viel Power beziehe sie aus der Musik, die Wolfgang Böhmer, der Mann von Adriana Altaras, komponierte. Er bediente sich bei Schostakowitsch ebenso wie in der Folklore. Neun Musiker aus der Ukraine und Russland, die jetzt in Potsdam leben, werden sie mit Kraft und Seele spielen. „Wir wollen es so saftig machen, dass es gefällt, und gehen dabei fast kabarettistisch zu Werke. Und die Zuschauer werden sicher auch einige Parallelen zur Nachwende-Entwicklung in Deutschland bemerken.“

Die in Zagreb geborene Theaterfrau nimmt sich gern politischer und sozialer Themen an. Oft entwickelt sie Stücke auch selber. Für die Berliner Staatsoper arbeitet sie derzeit an ihrer dritten Inszenierung mit Laien: mit hyperaktiven sowie türkischen Kindern sowie mit Menschen, die an Alzheimer erkrankt sind. „Dabei geht es viel ums Improvisieren, um Bilder und Bewegung.“ Und sie spielt auch selbst hin und wieder, wenn es die Zeit noch zulässt. Schließlich wollen auch die beiden kleinen Söhne auf ihre Kosten kommen. Gerade erst stand sie in dem Dani-Levy-Film „Mein Führer“ vor der Kamera: an der Seite von Helge Schneider.

Zur Premiere am 24. September könnte es passieren, dass Julia Timoschenko höchst persönlich aufkreuzt. Allerdings werde sie auch von Interpol gesucht. Aber auch das könnten nur Gerüchte sein. „Wer kriegt die Timoschenko schon richtig zu fassen?“

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