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Kultur: Mein Tod gehört mir

Mechthild Löhr von den „Christdemokraten für das Leben" in der arche zum Thema Sterbehilfe

Stand:

Mechthild Löhr von den „Christdemokraten für das Leben" in der arche zum Thema Sterbehilfe „Hitlers langer Schatten“ mag, wie Mechthild Löhr, die Bundesvorsitzende der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) feststellte, „ein wunderbar provokativer Titel“ für ihren Vortrag „Bedenkenswertes zur heutigen Euthanasiediskussion“ am Dienstag in der „arche“ gewesen sein. Allein der in altdeutscher Schrift gehaltene Namenszug Hitlers auf der Einladung unter Verwendung des erheblich belasteten Begriffs „Euthanasie"“ (griech. für schöner Tod) weckte ein tiefes Schaudern, und führte augenblicklich fort von einer objektiven Darstellung eines umstrittenen und sensiblen Themas wie der aktiven Sterbehilfe. Das barbarische Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten hat Tausenden Unschuldigen auf grausamste Weise das Leben genommen. Aber handelt es sich tatsächlich um die Nachwirkungen einer von unvorstellbarer Menschenverachtung getragenen nationalsozialistischen Rassenideologie, wenn jetzt in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz, Gesetze erlassen wurden, die unter genau definierten Bedingungen aktive Sterbehilfe zulassen? Der Verein CDL, einer von 85 „Pro Life“-Organisationen in Deutschland, widmet sich des Themas Sterbehilfe erst seit zwei Jahren. Die der CDU/CSU nahe stehende, aber selbstständige Vereinigung, gründete sich 1985 gegen die Kohl-Regierung, um die Liberalisierung des Abtreibungsparagraphen 218 zu verhindern. So wunderte es nicht, wenn die Referentin wenig auf die Nazi-Greuel einging, oft aber mit der Gleichsetzung von Abtreibung und Sterbehilfe aufwartete. Die geltenden Abtreibungsbestimmungen waren für Löhr ein Tabubruch mit dem bis dahin geltenden staatlichen Tötungsverbot, der für die heutige stärker werdende Akzeptanz der Sterbehilfe „nicht unverantwortlich" sei. Löhr ging sogar so weit, Stimmen zu zitieren, die den „Babycaust“ über den „Holocaust“ stellen, weil die Zahl an Abtreibungen die der Nazi-Opfer überstiegen hätten. Das Substrat von Löhrs vorangegangenen allgemein historischen Ausführungen über den Umgang mit dem Tod in früheren Epochen, dem Bruch des Hippokrates-Eids, der Sterbehilfe ausdrücklich ausschließt, und der Französischen Revolution, während der es zum ersten Mal zur bewußten staatlichen Übertretung des Tötungstabus in Nicht-Kriegszeiten gekommen sei; war die Frage, „ob das Wohl des Einzelnen durch die Gemeinschaft verfügbar ist“. Dem deutschen Idealismus von Hegel und Marx, dem die Person gegenüber dem Ganzen nicht maßgeblich wäre, stellte die CDL-Vorsitzende das Christentum entgegen, dem erst die Heraushebung des Individuums aus der Gemeinschaft zu verdanken wäre, und in dem die Person zum Maßstab der Würde gerierte. Wenn an dieser Stelle nun einige der dreißig Zuhörer erwarten mochten, von dieser individuellen Menschenwürde käme Löhr nun auf die Konstituierung einer Entscheidungsautonomie über das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, auf der die Sterbehilfegesetze der Nachbarstaaten ja fußen, sie erlebten das Gegenteil. Suggestiv fragte die Referentin, wie weit es denn mit der Autonomie wirklich gehe? War denn der Eintritt ins Leben eine autonome Entscheidung? Brauchten wir nicht zum Leben immer ein gesellschaftliches Umfeld, könnte man überhaupt „autonom“ überleben? „Leiden ist nie sinnlos“, behauptete Mechthild Löhr, und forderte mit den Worten des Papstes eine „Kultur des Sterbens“. Eine Zuhörerin nannte als Gegenbeispiel den gedachten Fall eines Menschen, der nur noch von Apparaten am Leben gehalten wird. Das wären extreme Einzelfälle, wegen derer man kein Gesetz erlassen könne, so Löhr. Sie ist sicher, dass eine solche Bestimmung einen moralischen Zwang zur Folge hätte, der auch weniger eindeutige Fälle beträfe, und dass damit „das Angebot die Nachfrage auslöst“. Löhr, die sich auch für die Sterbehäuser einsetzt, würde in einem solchen Fall den Betroffenen in ein solches Hospiz verlegen. So wichtig es war, die Stellungnahme einer fundamental christlichen Stimme zu hören, so ernst zu nehmen die Mahnungen der Vergangenheit beim Thema Sterbehilfe auch sind: In einer aufgeklärten Gesellschaft zählen auch die Argumente, die an dem Abend nicht zu hören waren – die der Angehörigen und Betroffenen und der Mediziner, deren tiefe Gewissenskonflikte durch eine gesetzliche Regelung beendet werden könnten. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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