Wolken, Rauch, verhangener Himmel. Schon bevor es zum Schlimmsten kommt, hängen die Schatten der Geschichte über der Szenerie. Es ist der 17. September 1939. Noch hat Warschau nicht kapituliert, kämpft die polnische Armee gegen zwei gierige Besatzer zugleich. Die Kamera aber weiß bereits um das dunkle Kapitel, das hier folgt. Sie findet ein einprägsames Motiv für die ausweglose Lage, in der sich die Polen befinden: Geängstigte, gehetzte Menschenmassen drängen von zwei Seiten auf eine Brücke und treffen in der Mitte aufeinander. Die einen auf der Flucht vor den Deutschen, die anderen vor den Russen.
Schon mit dem ersten Bild von „Katyn“ bringt Andrzej Wajda das Schicksal seines Landes auf den Punkt. Es sitzt in der Falle, eingequetscht zwischen zwei größenwahnsinnigen Kriegsmächten. Die Geschichte, die Wajda hier beginnt, ist eine schlimme, eine wahre Geschichte. In Folge jenes 17. September 1939 wurden rund 14 000 polnische Offiziere und Soldaten von der sowjetischen Armee gefangen genommen, die meisten von ihnen in einen Wald bei Katyn verschleppt, um dort im April 1940 systematisch ermordet zu werden. Wajda zeigt die kühle Professionalität, mit der die Massengräber erst ausgebaggert und dann mit Körpern gefüllt werden mit harter, gnadenloser Genauigkeit. Aber erst am Ende seines Films: Um das geschehene Grauen visualisieren zu können, müssen erst die Lügen der Geschichte aufgedeckt werden.
Denn nach dem Morden begann die Vertuschung. Schon 1941 wollte Stalin von Katyn nichts gewusst haben. Hitler war inzwischen vom Freund zum Feind geworden. Als man die Massengräber entdeckte, schob Stalin daher die Verantwortung der Wehrmacht zu. Eine Version, die auch lange nach Kriegsende die offizielle war. Erst 1990, als die Sowjetunion ihren hegemonialen Anspruch in Polen aufgab, räumte Gorbatschow sowjetische Schuld ein. Bis dahin musste die Wahrheit verschwiegen werden. Oder sie wurde – nicht weniger perfide – als antisowjetische Propaganda missbraucht.
Wajda erzählt vom Unterdrücken der Wahrheit anhand derer, die sie am meisten brauchten. Sein Film folgt sechs zurückgebliebenen Frauen durch Hoffnung, Verzweiflung, Trauer, Wut. Auch eigene Erinnerungen mögen eingeflossen sein. Das vergebliche Hoffen und Warten hat der heute 82jährige Wajda selbst als Jugendlicher erfahren. Sein Vater ist ebenfalls in Katyn ermordet worden. Es sind neben den klaren, schlimmen Bildern vor allem die sechs Schauspielerinnen, die „Katyn“ tief berührend und nie sentimental machen. Keine Regung, keine Träne ist hier zu viel. So erzählt Wajda das Unerzählbare, den Schmerz, vor allem durch Stille, Beobachtung, Andeutung. Im Rahmen von filmPOLSKA läuft „Katyn“ heute Abend 20 Uhr im Filmmuseum. Eine rare Gelegenheit: Offiziell ist der Film in deutschen Kinos noch nicht angelaufen.
Lena Schneider
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