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Kultur: Metropolenkinder an märkischen Brüsten

Ausgewählte Exponate der Ausstellung „Mark und Metropole“ im Kutschstall (3) / Von Andreas Bernhardt

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Als Julius Jacob den Wilhelmplatz in Berlin malte, belebten ihn Ammen in malerisch wirkender Spreewälder Tracht. Durch diese Kleidung waren sie die einzigen Brandenburger, die man in Berlin als solche erkennen konnte. Dass die Ammen Tracht trugen, war nicht Ausdruck eines sorbischen Selbstbewusststeins, sondern von ihrer „Herrschaft“ verlangt. Denn Spreewälder Ammen galten in der Kaiserzeit als die „Königinnen“ unter den Dienstboten und hatten ihren Preis. Sie dienten als Statussymbol bürgerlicher Familien, das ins Auge fallen sollte.

Das Ammenwesen war seit dem 18. Jahrhundert nach dem Vorbild des Adels vom Bürgertum übernommen worden. So konnten die herrschaftlichen Brüste vor Erschlaffung bewahrt werden und die Säuglinge dennoch eine besonders nahrhafte Milch erhalten. In Paris wurden Schweizer Ammen zur Mode und zum Statussymbol.

Seit Rousseaus Zeiten galt die Schweiz als Gebiet urtümlicher und gesunder Natur und Heimat unverdorbener, edel gesonnener Menschen. Und was den Parisern die Schweiz war, wurde den Berlinern der Spreewald, der ja auch unter den Landschaften Brandenburgs am frühesten touristisch erschlossen wurde.

Hinter dieser pittoresk-folkloristisch anmutenden Fußnote zum Berliner Stadtbild stand eine sozial problematische Beziehung zwischen Metropole und Provinz.

Der Spreewald blieb eine infrastrukturell wenig entwickelte Region und für die meisten Familien war die Verdienstmöglichkeit einer Frau als Amme in Berlin eine sehr wichtige Einnahmequelle. Allerdings hatte die Frau für die Tätigkeit als Amme eine körperliche Voraussetzung zu erfüllen: Sie musste kurz zuvor entbunden haben.

Da Ammen auch bei mehreren Schwangerschaften nur bis zu einer gewissen Altersgrenze stillfähig waren, erschien ein möglichst früher Beginn der Tätigkeit ratsam, um – ähnlich wie bei heutigen Leistungssportlern – eine optimale Verdienstzeit ausschöpfen zu können.

Der Überlieferung zufolge nutzten Eltern im Spreewald besonders die militärischen Herbstmanöver zur Herbeiführung einer gewollten Schwangerschaft ihrer Töchter. Damit wurden soziale Verwicklungen, die ja zu ehelichen Bindungen hätten führen müssen, unter den ansässigen Familien umgangen. 1879 wetterte August Bebel, im Spreewald werde die „Ammenzüchterei gewerbsmäßig betrieben“. Diese soziale Brisanz erlangte aber kaum öffentliche Aufmerksamkeit und die Geschichte der nach dem Ersten Weltkrieg kaum noch beschäftigten Ammen in Tracht geriet in Vergessenheit. So ist beispielsweise unbekannt, wie die unehelichen und wahrscheinlich von den Großeltern im Spreewald erzogenen Kinder sozial dort eingebunden waren. Viel Ungeklärtes aus diesem Bereich wird derzeit für ein Ausstellungsprojekt im Wendischen Museum Cottbus erforscht.

Julius Jacob (1842-1929) war als Maler besonders für seine Berliner Stadtbilder bekannt, schuf aber auch mehrere Ansichten von Brandenburger Dörfern und Landschaften. Sein Gemälde des (heute verbauten) Wilhelmplatzes zeigt den Blick vom Reichskanzlerpalais durch die Mohrenstraße, vorbei am Hotel Kaiserhof und dem Deutschen Dom zum Turm der Petrikirche.

Andreas Bernhardt ist Kurator der Ausstellung „Mark und Metropole“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte

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